- Titel:
- Zeichnung nach "Monochrom Blau, ikb98", 1957 von Yves Klein
- Entstehungsjahr:
- 2015
- Künstler-/in:
- Ute Heuer | Alle Werke
- Ort:
- Hannover (Entstehung)
- Kategorie:
- Grafik
- Material:
- Büttenpapier
Bleistift
- Technik:
- Zeichnung
- Maße:
- Breite: 55 cm
Höhe: 75 cm
- Schlagworte:
- Bleistiftzeichnung
Grafik
- Literatur:
- Beschrieben in:
Prof. Dr. Friedrich Weltzien Gezeichnete Gemälde. Zu den Achromien von Ute Heuer „Farbe“, das ist kein einfaches Wort. Es kommt so leichtfüßig daher, so unschuldig und liebenswert. Aber je genauer man hinsieht, desto verflixter wird es. Farbe, das meint die Tatsache, dass alle visuellen Erscheinungen bunt sind. Es bezeichnet aber auch die Substanz, die den Dingen ihre Buntheit verleiht, das Pigment. Es gibt Farbe im Singular, das meint den Tatbestand der Gefärbtheit. Und es gibt die verschiedenen Farben im Plural: die Grundfarben Rot, Gelb, Blau sowie deren Mischungen. Diese Farben haben alle einen je spezifischen Helligkeitswert, sie haben eine Temperatur und eine Tiefe, einen Wahrnehmungsraum. Sie besitzen eine Gestimmtheit, erzeugen eine Atmosphäre und transportieren einen kulturell festgelegten Symbolgehalt. Wohnt Farbe im Material, im Medium des Lichts oder doch im imaginären Raum unserer Wahrnehmung? Wie nur lassen sich die Farben ordnen und systematisieren? Es gibt sie rein und gebrochen, glänzend und matt, satt und mager, natürlich und künstlich. Farben ziehen uns an oder stoßen uns von sich, wir lieben die eine und ekeln uns vor der anderen. Und außerdem führen diese einzelnen Farben auch noch ein ziemlich heikles Beziehungsgeflecht untereinander, sie beeinflussen sich gegenseitig, verändern sich ständig in unterschiedlichen Lichtverhältnissen und Blickwinkeln. Ute Heuer knöpft sich diese Farbe vor. In ihrem gesamten Oeuvre spielt sie eine herausgehobene Rolle: Farbe ist für die Malerin nicht nur Mittel, es ist auch oft der Gegenstand ihrer Gemälde. All ihre Arbeiten ließen sich als Teil einer großen Forschungsaufgabe beschreiben, die das Verhalten, die Wirkungen und die Ausdruckswerte von Farbe untersuchen. In ihrer jüngsten Werkgruppe hat sie dazu eine Methode der Reduktion, der Subtraktion gewählt: Sie zeichnet farbige Gemälde mit dem Bleistift ab. Hochpräzise im Detail, identisch in den Maßen, aber unter Abzug aller chromatischen Informationen. Sie tut dies mit Referenzwerken der Kunstgeschichte (etwa mit einer Monochromie von Yves Klein, einem abstrakten Rakelbild von Gerhard Richter oder einem Meister des Chiaroscuro aus dem 17. Jahrhundert, Georges de la Tour). Sie macht das aber auch mit ihren eigenen Gemälden aus verschiedenen Werkphasen. Die Zeichnungen entstehen vor dem Original, so, wie klassischerweise ein Porträt hergestellt wird. Von Angesicht zu Angesicht, gewissermaßen. Im Hinblick auf Yves Klein könnte man bei Heuers Zeichnungen insofern von Achromien sprechen: die Bilder hören auf, bunt zu sein. Erstaunlich ist dabei, dass der Effekt ein ganz anderer ist, als man ihn etwa von Schwarzweißfotografien kennt. Es handelt sich nicht um Imitationen oder Reproduktionen – es entstehen völlig neue Bilder, auch wenn (oder gerade weil) sie Farbräume, Temperaturen und Lichtwerte des Vorbildes wiederzugeben in der Lage sind. Die plastischen Qualitäten der Farbe, das wird deutlich, sind eben nicht vollständig an ihre chromatischen, auf den Farbton bezogenen, Qualitäten gebunden. Dichte, Sättigung, Valeurs und Verläufe, Tiefenräumlichkeit und Oberflächeneffekte lassen sich in das neue Medium der Zeichnung hinübertragen. Selbst die Geste und der Duktus – dasjenige, was man in der Malerei als Faktur bezeichnet: Geschwindigkeit, Kraft und Viskosität des Farbauftrags – kann die Zeichnung porträtieren. Das griechische Wort für Farbe, chroma, bezeichnete im archaischen Griechisch, der Sprache Homers, die Oberfläche oder die Haut der Körper. An ihrer Veränderung ließen sich innere Vorgänge ablesen, etwa wenn das Gegenüber Zornesrot oder blass vor Angst wurde. Diese Haut zieht Ute Heuer den Bildern ab und schaut sich die darunterliegende Anatomie ganz genau an. Und sie erwartet in der Gegenüberstellung von Malerei und Zeichnung, dass die BetrachterInnen sie bei dieser Forschungstätigkeit begleiten. Das ist nicht wenig verlangt, aber die sinnlichen Erkenntnisse, die dabei zu gewinnen sind, entschädigen für den Aufwand des exakten Sehens um ein Vielfaches. Die Handarbeit des Zeichnens – eben kein simpler Filter einer digitalen Präsentation – erzeugt Einsichten im buchstäblichen Sinne des Wortes. Die schwere Schleifspur, die eine mit dem Rakel gezogene Ölpaste hinterlässt, wird ebenso im Graphit der verschiedenen Bleistifthärten wahrnehmbar, wie der beinahe gewichtslose Hauch von aquarellierten Pigmenten im vor 200 Jahren getrockneten Wasser aus Goethes Pinsel. Wie so oft geht uns der Wert einer Sache erst auf, wenn sie uns genommen wird. Die Farbe kann Ute Heuer unserer Welt nicht entziehen. Und das will sie auch garnicht, ganz im Gegenteil. Indem sie experimentell die chroma von den Bildern zieht, wird offenbar, wie reich, wie komplex, wie vielschichtig die Phänomene sind, die wir mit dem unscheinbaren Begriff „Farbe“ besetzen: Sie macht sichtbar, indem sie einen Aspekt des Sehens streicht. Heuers Achromien zeigen also keine Schindung, wie die des Marsyas durch den Farbgott Apollon und keine medizinische Anatomielehrstunde der barocken Meister der Chromatik. Sie öffnet uns vielmehr die Augen dafür, wie aktiv Farbe uns mit dem beschenkt, was wir zumeist als gegeben und selbstverständlich nehmen: das ungeheure Vermögen der Sichtbarkeit.
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- Persistente URL:
- https://doi.org/10.25362/kupo.eecaa840-8b7f-446f-b85c-4085d7fb61f3