Bernd M. Langer
Kontaktadresse:
Zum Bodenkamp 4
31535 Neustadt a. Rbge. (Empede)
E-Mail: ku-he(at)ku-he.de
Meine künstlerische Arbeit sehe ich als ein Suchen und Erproben von Gestaltung im malerischen und skulpturalen Bereich, angetrieben von einem sich immer wieder erneuernden, inneren Prozess. Dieser entwickelt sich als Folge von geistiger und emotionaler Verarbeitung unserer Lebenswirklichkeit. Das von mir angestrebte Zusammenspiel von realitätsbezogenen Themen und deren künstlerischer Transformation im Werk, finde ich in dem Satz von Th. Adorno bestätigt: „Die Kunst ist tatsächlich die Welt noch einmal, dieser so gleich wie ungleich.“ (Aus Th. Adorno, Ästhetische Theorie, 1973)
Meine künstlerische Entwicklung verlief in den vergangenen Jahrzehnten in mehreren aufeinanderfolgenden Werkphasen: 1. Informel 1961-1970, 2. Landschaftsfigurationen, Straße u. Verkehr 1971-1982, 3. Tonnen und Werkzeuge 1983-1985, 4. Santorin-Saga 1986-2000, 5. Aus einer Inselwelt 2001-2022, diese wird seit 2016 bis 2022 von dem Thema „Inseln und Galaxie“ ergänzt und überlagert.
1939 geboren in Berlin
1959–1964 Hochschule der Künste, Berlin (Prof. Thieler, Jaenisch, Janssen)
1964 Künstlerisches Staatsexamen
1968 Umzug von Berlin in die Region Hannover, nach Neustadt am Rübenberge, Ortsteil Empede.
1968–1997 Kunstunterricht am Gymnasium
1970–1975 Atelier mit Siebdruckwerkstatt
1973–1995 Mitglied im BBK Niedersachsen, Gruppe Hannover
1992–2002 Mitglied in der Künstlergruppe Arche, Hameln
1984 Gründungsmitglied Kunstverein Neustadt am Rbge. e.V.
2009, 2013, 2015 Leitung von Workshops mit Schülern jeweils verschiedener Altersstufen
seit 1986 wiederholt Aufenthalte auf den Kykladeninseln Santorin, Anafi, Amorgos und im Südwesten Kretas
Seitdem Werkgruppen: Kein Halten – Kein Ende, Santorin Saga, Inselwelten.
Lebt und arbeitet in Empede/Neustadt a. Rbge.
Einzelausstellungen
2019 Panorama 58, Kunstverein Neustadt a.Rbge., Schloss Landestrost (Katalog)
2017 Atelierspaziergang, Region Hannover
2015 Aus einer Inselwelt, Emporengalerie Sparkasse Hannover, Neustadt a. Rbge. (Katalog)
Jahreswende, Galerie Winkelmann, Wunstorf (Krämer, Winkelmann, Langer, Thatje-Körber)
2013 In Sichtweite, Kunstverein Barsinghausen (Eren-Langer-Wolf) (Katalog)
2012 Atelierausstellung, Kultour des Kulturnetzwerkes Neustadt a. Rbge.
2010 Atelierspaziergang, Region Hannover
2009 Landschaft-Konstrukt-Bild-Objekt, Schloss Landestrost, Neustadt a. Rbge. (Katalog)
2006 Atelierspaziergang, Region Hannover
2003 Inseln im Raum, Langhaus im Historischen Zentrum Oldenstedt, BBK Uelzen
Atelierspaziergang, Region Hannover
Inseln, Forum Kultur, Kreissparkasse Hannover, Neustadt a. Rbge.
2002 Die Insel - Motiv und Konzept, Forum Regionsverwaltung Hannover
2001 Inseln (Bilder, Objekte, Installationen), Arche-Galerie im Haspelmathturm, Hameln (Katalog)
1999 Notate und Fragmente, Galerie Schlehn, Neustadt a. Rbge. (Katalog)
Galerie Schlehn, Neustadt a. Rbge.
1994 Arche-Galerie im Haspelmathturm, Hameln
1993 Langer, Marggraf, Kunstverein Neustadt, Schloss Landestrost (Katalog)
1986 Langer, Marggraf, Pawlowski, Scharnhorst, Kunstverein Neustadt, Schloss Landestrost (Katalog)
1985 Rathaus Langenhagen, Kunstverein Langenhagen
1984 Galerie im Künstlerhaus, BBK Hannover
1980 Versuche zur Landschaft, Altstadtgalerie, Berlin-Spandau
1974 Kreissparkasse Hannover, Neustadt a. Rbge.
Europäische Akademie, Berlin
1973 Synthetische Landschaftsfigurationen, Kunstkabinett Bogenstahl, Hannover
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)
2017 Vom Wesen des Glücks, Region Hannover, Schloss Landestrost
2013 Zimmer mit Bildern und Objekten, Galerie Schlehn, Neustadt a. Rbge.
2010 Kleinplastik in Norddeutschland, M&R Galerie Kolbien, Garbsen
2009 25aus25, 25 Jahre Kunstverein Neustadt a. Rbge., Schloss Landestrost
Traumbilder, Kunstverein Neustadt a.Rbge., Schloss Landestrost
2006 Kleinplastik in Norddeutschland, M&R Galerie Kolbien, Garbsen
Künstlergruppe Arche bei EON Avacon, Lüneburg
2005 Objektkunst-Kunstobjekt, Kunstverein Neustadt a. Rgbe., Schloss Landestrost
Diskursiv III, Galerie Schlehn, Neustadt a. Rbge.
2004 Wintergärten III, Gärten der Lüste, Hannover, Günterstraße
2003 Ewig singen die Wälder, Galerie Schlehn, Neustadt a. Rbge.
2001 Fliegen- gestern, heute, morgen, Kunstverein Neustadt a. Rbge.
V. Niedersächsische Triennale-Zeichnung, Schloss Bevern, KK Holzminden
50 Jahre Arche, Galerie im Haspelmathturm, Hameln
Kleinplastik aus Norddeutschland, M&R Galerie Kolbien, Garbsen
Sammlung Ludwig, Schloss Landestrost, Neustadt a. Rbge.
2000 Kunst in der Stadt, Kunstverein Neustadt a. Rbge.
1997 Herbstausstellung Künstlergruppe Arche, Hameln
Malerei, Positionen der 90er Jahre im Raum Hannover, Kunstverein Neustadt a. Rbge.
1996 III. Niedersächsische Grafik-Triennale, Schloss Bevern
1995 BBK Niedersachsen, Landesausstellung, Landesmuseum Oldenburg
1994 Herbstausstellung Künstlergruppe Arche, Hameln
1992 40 Jahre Künstlergruppe Arche, Hameln
BBK Niedersachsen, Roemer-Pelizaeus-Museum, Hildesheim
1991 Unruhe, Kunstforum Nord, Hamburg
1989 BBK Niedersachsen, Orangerie Herrenhausen
Sickingen-Kunstpreis (Teilnahme), Pfalzgalerie Kaiserslautern
Ich-Künstler in Niedersachsen, Schloss Holdenstedt, Uelzen
1988 Raumbilder - Bildräume, Sparkasse Karlsruhe
1987 Maler sehen Herrenhausen, Hannoverscher Kunstlerverein
Man kann ja nie wissen, Hommage an Kurt Schwitters, Hannover
1986 Biennale '86 Hannoverscher Künstler, Kubus Hannover
1985 Das Dorf, Kunstverein Neustadt a. Rbge
1984 Biennale '84 Hannoverscher Künstler, Kubus Hannover
10 Künstler zum Thema Großraum, Hannover
1983 Auto, Straße, Landschaft, BBK München
1982 Körper im Raum, Wettbewerb, Sparkasse Esslingen
1981 Landschaften, Niedersachsentag Celle
Hannoversche Künstler in Polen, Wojewodschaft Olsztyn
1979 Elektrizität - Energie unserer Zeit, Hastrawettbewerb, Orangerie Hannover
1978 BBK Hannover, Kubus Hannover
1977 BBK Niedersachsen, Orangerie Hannover
1976 Freie Berliner Kunstausstellung, Messehallen Berlin
BBK Niedersachsen, Orangerie Hannover
1975 Freie Berliner Kunstausstellung, Messehallen Berlin
1974 Wirtschaft und Kunst, Historisches Museum Hannover
1973 Tage der Neuen Musik, Funkhaus Hannover
IKI Düsseldorf, Edition Print
Galerie C. Mühlheim
Kunstverein Hannover, Herbstausstellung
1972 Deutscher Künstlerbund, Bonn
Freie Berliner Kunstausstellung, Berlin, Messehallen
1971 Kunstverein Hannover, Herbstausstellung
Große Münchener Kunstausstellung, München, Haus der Kunst
1970 Deutscher Künstlerbund, Bonn
1969 Kunstverein Hannover, Herbstausstellung
1964 Große Berliner Kunstausstellung, Berlin, Messehallen
Arbeiten in öffentlichem und privatem Besitz, u.a.:
Forum Kunst, Sparkasse Hannover
Artothek Kunstverein Neustadt a. Rgbe.
Artothek der Zentralen Landesbibliothek, Berlin
Stadtwerke Neustadt a. Rbge.
Hastra, Hannover
Stadt Hameln
Region Hannover
Niedersächsische Lottostiftung
Michael Stoeber: Die Richtung ändern, Zum Werk von Bernd M. Langer, 2019
Jörg Worat: Aus einer Inselwelt, 2015
Michael Stoeber: B. M. Langer und das Motiv der Insel, 2013
Kurt Märzhäuser: B. M. Langer und Santorin, Skizzierung einer Obsession, 2009
Michael Stoeber: Landschaft als Porträt, 2009
Kurt Märzhäuser: Inseln im Raum, 2003
Johanna di Blasi: B. M. Langer in der Regionsverwaltung, HAZ, März 2002
Michael Stoeber: Inseln (Bilder, Objekte, Installationen), 2001
Kurt Märzhäuser: Inseln – Bilder, Objekte, Installationen, 2001
Michael Stoeber: Notate und Fragmente, 1999
Kurt Märzhäuser: Kein Halten – kein Ende, zu den neuen Bildern von B. M. Langer, 1994
Ludwig Zerull: Zu den Bildern der Santorin-Saga, 1993
Michael Stoeber: Landschaft als Menetekel, 1993
J. Weichardt: Zu den Bildern von Bernd M. Langer, 1986
Ludwig Zerull: B. M. Langer, 1986
Dr. R. Lange: Versuche zur Landschaft, 1980
Dr. R. Lange: Das ist Straßen-Kunst, HAZ, Febr. 1973
Müller-Fehn: Synthetische Landschaftsfigurationen, 1973
Michael Stoeber
Die Richtung ändern – Zum Werk von Bernd M. Langer
Text im Katalog “Panorama 58”, 2019, Kunstverein Neustadt a.Rbge. (gekürzte Fassung)
Die Kunst von Bernd Langer ist existenziell, ambivalent und komplex.
Existenziell ist seine Kunst insofern, als sie autobiografisch grundiert ist. Mit ihr reagiert er auf Erfahrungen unterschiedlichster Art, die er als Mensch und Künstler gemacht hat. Aber sie ist nicht nur für ihn, sondern auch für den Betrachter existenziell. Für letzteren, weil die Kunst Langers Dinge verhandelt, die ihn angehen. Es scheint, als habe sich der Künstler die Maxime des Aristoteles zu eigen gemacht, der in seiner „Poetik“ seine Kollegen auffordert, so zu schreiben, dass sich die Leser in ihren Texten wiederfinden. In eben dieser Weise verhandeln die Gemälde, Zeichnungen, Radierungen und Skulpturen Bernd Langers die Sache des Betrachters.
Ambivalent und komplex ist seine Kunst sowohl in der Form als auch im Inhalt. Beide bedingen einander. Sie sind im Werk von Langer stets mehr als sie scheinen. Das haben sie mit all jenen Werken gemeinsam, die sich dem hohen Ton des Pathos verweigern. Die sich in Ton und Ausdruck zurücknehmen und doch Ernstes und Existenzielles verhandeln.
Neugierig und mit experimenteller Lust begabt, bricht Bernd Langer in seinen Werken zu immer neuen Ufern auf. Obwohl er sich als Künstler auf vielen Feldern bewegt, gegenständlich und abstrakt, realistisch und surreal malt und gestaltet, und dabei ganz unterschiedliche Materialien erkundet und ausprobiert, bleibt er in seinen Werken immer kenntlich. Auf diese Weise entwickelt er nicht nur eine, sondern mehrere Signaturen.
Bernd Langer hat bei Fred Thieler, einem der großen informellen Künstler der Nachkriegszeit, in Berlin studiert. So stehen gestische Bilder auch am Anfang dieses Katalogs und der zugehörigen Ausstellung, die insgesamt 58 Jahre seines künstlerischen Schaffens ausleuchten.
Wie sehr diese Malmanier bei Langer durch die Metamorphose ganz spezifischer Erlebnisse geprägt ist und sich nicht als bloßes, rein formales l’art pour l’art versteht, macht wie kein anderes das Gemälde „Kennen Sie Cornwall?“ (1963) deutlich. Es ist unter dem Eindruck einer Englandreise entstanden. In Ihm sind das Blau von Meer und Himmel ebenso aufgehoben wie das Weiß der Wolken und das rötliche Braun der Erde. Seine Farben wirken aufgewühlt und in heftiger Bewegung begriffen. Das ausdrucksstarke Werk scheint nicht nur ein Landschaftsporträt, sondern auch ein Psychogramm des Malers zu sein, in dem sich seine emotionale Befindlichkeit nicht weniger stark abbildet als der meteorologische und geologische Zustand der Landschaft.
Zur Informel-Serie des Künstlers gehören auch das Bild „Rotschmelze“ (1963) mit seiner Choreografie aus rotglühender und brikettschwarzer Farbe – eine Reminiszenz an die Zeit, als der Kunststudent Langer nachts in einer Glasschmelzerei arbeitete, in der das Feuer der Öfen nicht ausgehen durfte – sowie die eindrucksvolle schwarzweiße Lithografie „Trabant“ (1962) und die rotschwarze Radierung „Gipfelpunkt II“ (1964) mit ihren energetischen Farb- und Formpartituren, deren Elemente aufeinander zustürmen, sich abstoßen oder ekstatisch vereinen.
In der Folge vollzieht Bernd Langer eine Abkehr vom Informel, um sich einer konstruktiven Malweise zuzuwenden. Auch da werden seine Bilder durch das Erlebnis der Landschaft geprägt. Doch in völlig anderer Weise. Nicht die natura naturans, die reine Natur, sondern die natura naturata, die durch den Menschen zugerichtete Natur tritt nun unter dem Begriff der „Landschaftsfiguration“ ins Bild.
Zu jener Zeit ist Langer viel mit dem Auto unterwegs und nimmt die Landschaft aus der Perspektive des Fahrenden in den Blick. Auch wenn man keine Autos und keine Menschen in seinen Bildern sieht, ist der Mensch in Langers Bildern durch die von ihm geschaffenen Artefakte gegenwärtig. Wiederholt durch das schwarze Band der Autostraße, die sich wie in dem Gemälde „Landschaftselemente“ (1970) durch die Landschaft zieht. Der obere – heitere – Teil des Bildes zeigt Himmel, Wolken, Feld, Meer und Horizont. In einer von allen Details befreiten, abstrakten Gegenständlichkeit schafft Langer eindrucksvolle Stimmungsbilder, die von einer einprägsamen Dialektik bestimmt sind. Einerseits die idyllische Landschaft, hell und freundlich, andererseits die dystopischen Artefakte des Menschen, dunkel und gefährlich.
Langers Fortschritts- und Technikskepsis drückt sich noch stärker in den Bildern „Landschaftsfigur“ (1972) und „Landschaftsbogen II“ (1973) aus, in denen das herangezoomte und stark vergrößerte Band der Autostraße fast das ganze Bild einnimmt und die Landschaft förmlich zu ersticken droht. Bedrohlich ist auch die „Landschaftsbrücke“ (1974), eines der Gemälde, in denen er darüber hinaus gelingend unterschiedliche Malidiome miteinander verbindet: Konstruktivismus, Impressionismus und naiv raffinierte Zeichenhaftigkeit.
Als Bernd Langers Bilder entstehen, sind sie ein früher kritischer Kommentar zur herrschenden Fortschrittsideologie ihrer Zeit und in Anbetracht der auf sie folgenden Entwicklung durchaus von seherischer Kraft.
Die Landschaft steht mittelbar auch im Zentrum von Bernd Langers Werkserie „Tonnen und Werkzeuge“. Sie bildet sozusagen den impliziten Hintergrund einer explizit sich äußernden Zivilisationskritik. Auf die Tonne ist der Künstler während eines Urlaubs gestoßen, den er auf der Insel Bornholm verbrachte. Bei den von ihm dort gesichteten Tonnen, alt und rostig und mit Giftstoffen gefüllt, handelte es sich ganz offenbar um Altlasten aus dem letzten Krieg. Sie ließen Langer nicht nur kritisch über die deutsche Geschichte nachdenken, sondern auch über den gegenwärtigen Entwicklungsstand des zivilisatorischen Fortschritts und der gesellschaftlichen Moral.
„Tonnen und Werkzeuge“ heißt ebenfalls ein Werk aus dunkel düsteren, brauntonigen Farbkreiden aus dem Jahr 1984. Obwohl Tonnen, Hammer und Werkzeugschlüssel in konkreter Weise in ihm erkennbar sind, markiert das Bild doch eine Rückkehr hin zum gestischen Stil seiner frühen Bilder. Ein Passagenwerk, das oszilliert zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit und en passant Kandinskys Prognose suspendiert, in Zukunft werde es in der Malerei nur noch das große Konkrete oder das große Abstrakte geben. In Bernd Langers Werk gibt es beides.
Wobei es dem Künstler einmal mehr gelingt, in großer Souveränität ein Stimmungsbild zu malen, in dem sich der technische Fortschritt nicht als großes Menschheitsversprechen, sondern vielmehr als bedrückende Bedrohung zeigt. Zu ihr trägt nicht allein die Farbigkeit des Bildes bei, sondern wesentlich auch seine Komposition, in der die einzelnen Werkzeuge unverbunden nebeneinanderstehen, ohne sich produktiv an einer gemeinsamen Aufgabe zu versuchen.
Die farbige „Tonne im Raum“ (1986) dagegen treibt die gestische Abstraktion dieser Bilder weiter hin zu einer an futuristische Malerei erinnernden Dynamik. Die Tonne dreht sich in rasanten Farbwirbeln, als würde sie von einem Motor bewegt. Dabei scheinen alle stabilen Raumkoordinaten verschoben oder aufgehoben. Die Diagonale beherrscht die Komposition, in der ein Steigen, Stürzen und Fallen vorausweist auf die Conditio humana der Santorin-Saga.
England, Bornholm, Santorin, die Erfahrung von Inseln, ist die vis motrix, die bewegende Kraft im Werk von Bernd Langer. Vor allem, Santorin, die griechische Insel im östlichen Mittelmeer, deren Physiognomie einer Katastrophe geschuldet ist, einem mächtigen Vulkanausbruch vor mehreren tausend Jahren, ist eine stete Quelle der Inspiration für den Künstler. Nicht der Mensch bedroht die Natur, sondern die Natur hat sich hier selbst gefährdet. Das Sinnbild der durch die vulkanische Eruption weggesprengten Mitte der Insel wirkt für Langer bis in die Gegenwart und motiviert ihn zu immer neuen Bildern und Objekten.
Das Diptychon der „Santorin-Saga“ (1987/88) thematisiert diese historische Katastrophe einmal mehr in Form einer Tonne. Sie erscheint wie das ruhige Auge eines Orkans inmitten eines Prozesses radikaler Auflösung, die alles mit sich reißt. Eine schwarze, braune und blaue Farblawine, in deren Formen wir andeutungsweise Himmel, Meer und Insel erkennen, rollt scheinbar unaufhaltsame in den Untergang. Aber zugleich wird die Leerstelle auch zum Kraftzentrum. Blau-, 0cker-, Gelb- und Rottöne mischen sich unter die dunklen Kolorite, die das Fallen und Stürzen strukturieren und stützen und am Ende feststellen und aufhalten. „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, lesen wir bei Hölderlin.
Die faktische Dekomposition wird aufgefangen durch die künstlerische Komposition. Dieser ambivalente Charakter zeichnet alle Santorin-Werke aus. Ein schönes Paradox, das Adorno perfekt zum Ausdruck bringt, wenn er schreibt – dies ein Lieblingszitat von Langer: „Kunst ist die Welt noch einmal, dieser so gleich wie ungleich.“ Auch in „Fragmente einer Utopie II“ (1996) taucht hinter der blockhaften Aufspaltung der Insel der Traum einer verlorenen Ganzheit auf. Ideal und Wirklichkeit sind immer zwillinghaft vorhanden in Langers Werken.
Kein Wunder, dass der Künstler in jenen Jahren beginnt, das Bild der Insel in Objekten zu fassen, in denen unterschiedliche Materialien wie Holz, Blei, Eisen. Kunststoff und Farbe sich zur Einheit fügen und doch Fragment bleiben.
Die ersten Skulpturen von Bernd Langer entstehen im Jahr 1996. Zu der Zeit spricht der Künstler von seinen dreidimensionalen Werken noch vorsichtig von Objekten, als habe er sie eher gefunden als gestaltet. Indes wächst die kühne Form der frühen Werke, beispielsweise „Fragmente einer Utopie I“ (1998), in so gewagten Schnitten aus der Holzplatte hervor, dass an ihrem künstlerischen Gestaltungswillen keinerlei Zweifel bestehen kann. Aber die flache Platte erinnert trotz ihrer Körperlichkeit an zweidimensionale Medien wie Leinwand und Papier. Ein Eindruck, der durch die Malerei, die sie trägt, noch verstärkt wird, auch wenn die skulpturale Bearbeitung der Oberfläche unmissverständlich auf Stemmeisen und Stecheisen verweist.
In der Folge wird die Ausarbeitung seiner Objekte durch Langer stetig differenzierter und komplexer. Schon das „Objekt-Fragment IV“ aus dem Jahr 2002 verbindet das Holz mit Eisen. In gerader wie gebogener und sich krümmender Form fahren die rostbraunen Stäbe nachdrücklich über die lädierte, schrundige, aufgerissene Oberfläche des Holzes und erinnern an die der Komposition strukturgebenden Grafit- und Kohlelinien seiner Bilder und Zeichnungen. In späteren Werken alliiert der Künstler Holz und Blei wie bei den in Blau getauchten Artefakten „Insulares Objekt II “ (2000/18) und „Insulares Objekt III “ (2000/18). Immer trägt das Holz dabei tiefe Einschnitte als typische Signatur einer allumfassenden fundamentalen Verletzung.Das Blei in seiner weichen Formbarkeit trägt in solchen Allianzen dazu bei, das Formrepertoire der Skulptur zu erweitern.
Wie in einem semantischen Polygon kommt Langer bei der Ausarbeitung seiner Skulpturen immer wieder auf die Sujets zurück, die ihn bewegen. In ihrem Zentrum steht die Insel mit allen möglichen Konnotationen. Die Polyvalenz der Insel bringt Langer durch die Vielfalt der von ihm verwendeten Materialien und Formen zum Ausdruck, mit denen er ihr Gestalt gibt.
Das „Segment ozeanisch – mit Wellenkamm “ (2016) wird ebenfalls durch einen schmalen Sockel erhöht. Seine Faktur aus einer flachen, mit Blei überzogenen Holzplatte erinnert an Langers frühe Werke der Anfangszeit. Aber das leuchtende Plexiglas, das sich über die dunkle Scheibe ringelt, ist eine stoffliche Innovation. Sie bringt eindrucksvoll die farbige Oberfläche des Wassers in Anschlag, von dem Inseln umgeben sind. Zugleich Fluch und Segen, ist das Wasser ebenso ambivalent wie die Insel selbst.
Das letzte Kapitel des Rückblicks auf sein Schaffen überschreibt Bernd Langer mit dem Titel “Aus einer Inselwelt“. Er könnte aussagekräftiger nicht sein, wird die Insel damit doch in den Rang einer eigenen Welt erhoben, in der zugleich – analogisch – aber auch die ganze Welt in ihrer Widersprüchlichkeit aufgehoben ist. Beispielhaft demonstrieren das Bilder wie Erdanschnitt I“ (2012), „Meteorit I“ (2013) und „Auf blauer Erde“ (2013), in denen der Künstler wie ein Astronaut auf den blauen Planeten der Erde schaut, die ihrerseits als Insel im Dunkel des Weltalls treibt.
Was in diesen Werken indes noch stärker als zuvor schon zum Ausdruck kommt, ist die Erfahrung einer existenziellen Einsamkeit, ja Verlorenheit, die sich mit dem Bild der Insel verbindet. Sie machen, dass Bernd Langers Inseln nicht nur geografische Abbilder sind, sondern immer auch Chiffren für eine conditio fundamentalis des Menschen. „No man is an island, entire in itself“, schreibt der englische Dichter John Donne in diesem Zusammenhang in einem sprichwörtlich gewordenen Zitat.
Johanna di Blasi
Im Haus der Regionsverwaltung Hannover
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 25. März 2002
Bei Bernd M. Langer dreht sich alles um die Insel. Aufenthalte auf Santorin haben den in Empede beheimateten Künstler zu einem relativ geschlossenen Werkzyklus angeregt: Schwebende Steine, rosa gefärbte Betonfragmente auf Stelzen und subtil gesponnene Inselskizzen, die im geschäftigen Amtstreiben der Regionsverwaltung wie Strandgut von einem anderen Stern wirken.
Schön ist die Geistigkeit der Werke. Das schwere Materielle von Stein bis Blei ist transzendiert, Abstraktion schält Grundsätzliches heraus: das Fragmentarische und Ambivalente des Inseldaseins- Ort für Selige und Verdammte, für gestrandete Helden und Pauschalreisende, für Gegenentwürfe und Utopien.