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Ernst Marow


Ernst Marow
Foto: Sabine Schulz

Kontaktadresse:

Sabine Schulz-Marow
Bürgermeister-Willi-Lührs-Straße 2
26548 Norderney

Tel.: 0178 / 6594176

E-Mail: SabineSchulz(at)ernstmarow.de

Ernst Marow
*1934 in Königsberg/Neumark - †2018 in Kronshagen

Ernst Marow, 1934 in Königsberg/Neumark, dem heutigen polnischen Chojna, geboren, gelangte durch Flucht und Vertreibung 1945 nach Niedersachsen, wo er 1954 das Abitur machte, um an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin bis 1959 zu studieren. 

Im Jahr 1969 fasste er den Entschluss, die Wirklichkeit zu studieren, entgegen der Tendenz des vorherrschenden Tachismus. Es folgte 1972 die erste Ausstellung „Realismus aus dem Küchengarten” in der Galerie Brusberg in Hannover mit den spanischen Realisten Garcia, Lopez und Quintanilla. Mehrere Jahrzehnte wurde er dann von der legendären Galerie des Dieter Brusberg – welcher Ernst Marow im Jahr 1971 auch als Künstler entdeckte – in Hannover und Berlin vertreten.  

Als überzeugter Realist steuerte Ernst Marow sein gesamtes Leben in seinem künstlerischen Oeuvre gegen andere zeitgenössische Tendenzen in der Kunst. Das graphische Hauptwerk Ernst Marows, der Radier-Zyklus „Für Odysseus”, bestehend aus 107 Kaltnadelradierungen, entstand in den Jahren 2000-2014. Ein graphisches opus magnum, welches dem Künstler eine intensivste Auseinandersetzung mit dem historischen Stoff abverlangte. 

Ernst Marow nutzte den künstlerischen Ausdruck als Werkzeug zur Analyse und Interpretation der Realität und erscheint als Nachfahr und Fortsetzer der Neuen Sachlichkeit. Im Rahmen seine Studiums  an der Hochschule für Bildende Künste im Berlin der Nachkriegszeit und auch später – insbesondere in einer Ära der abstrakten Kunst – sah er sich als Revolutionär, der gegen den Strom schwimmt. 

Ganz wie Homers Odysseus ging er den Weg zu seiner inneren Identität, über die Vielfalt der Wirklichkeit fiel auch Ernst Marows sensibler Blick auf die wundersamen Aspekte des Lebens. Malen war für den Künstler eine Entdeckungsreise, die von außen in eine innere Dimension führte, in der die furchtbaren Grenzen nicht länger die Säulen des Herkules, sondern die Grenzen zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten, dem Sichtbaren und dem Imaginären sind. Die Arbeiten des Künstlers befassen sich mit den kleinsten Aspekten der Realität. Seine Werke bilden eine Brücke, die „das Unsichtbare durch die Realität sichtbar macht” – so zieht Marow beispielsweise Vegetations- oder Landschafts-Teile, die auf realen Erlebnissen basieren mögen, ganz dicht an den Betrachter heran, sodaß sie in ihrem Ausdruck etwas Überwirkliches zeigen. 
Sabine Schulz

1934 geboren in Königsberg / Neumark  (heute Chojna / Polen)

1945 Flucht nach Niedersachsen

1954 Abitur

1955-1959 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Berlin

1969 Entschluss, die Wirklichkeit zu studieren gegen den vorherrschenden Tachismus

1972 erste Ausstellung in der Galerie Brusberg, Hannover (mit den spanischen Realisten Francisco Lòpez Hernàndez, Isabel Quintanilla und Antonio Lòpez Garcia)

1976 Reportage im ZDF über den Künstler    Film-Beitrag „Gegen den Strom“

1980 Der Maler erhält für seine Werke das Niedersächsische Künstlerstipendium

1981 Für sein zeichnerisches Werk erhält der Künstler den Bernhard-Sprengel-Preis

1983 „Ernst Marow”, Band 19 aus der Reihe „Niedersächsische Künstler der Gegenwart“, erscheint im Westermann-Verlag, Braunschweig

2000-2014 entstehen Ernst Marows  „107 Radierungen zur Odyssee – Für Odysseus”

2006 Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg nimmt die Radierungen zur Odyssee in die graphische Sammlung auf

2014 Das ALBERTINA Museum Wien nimmt die Radier-Suite „Für Odysseus – 107 Radierungen zur Odyssee“ in die graphische Sammlung auf

2018 Am 31. Mai stirbt Ernst Marow, umgeben von seinen Werken, in seinen Atelierräumen. Noch viele Ideen hätte er umsetzen und neue Arbeiten entstehen lassen wollen.

2019 Im Rahmen der 30. Europäischen Tage der Integration und Ökumene in Chojna/Polen, der Geburtsstadt Ernst Marows, werden das Öl-Gemälde „Kräfte der Erde“ und die Zeichnung „Der Untergang der Stadt K. - Gedächtnisübung Königsberg 1945“  in Kooperation mit dem „Förderverein zum Wiederaufbau der Marienkirche Chojna (Königsberg/Neumark)” als Schenkung an die Stadt Chojna übergeben.

Die Werke werden dauerhaft im historischen 'Alten Rathaus' der Stadt Chojna ausgestellt sein.

1968 „Phantastische Kunst in Deutschland”, Kunstverein Hannover

1969 „Junge Kunst in Hannover”, Kunstverein Oldenburg

1972 erste Ausstellung in der Galerie Brusberg, Hannover: „Realismus aus dem Küchengarten” (mit den spanischen  Realisten Francisco Lòpez Hernàndez, Isabel Quintanilla und  Antonio Lòpez Garcia)
„Natur in Abbild und Vorstellung”, Ausstellung in Hannover

1973 Ausstellung in der „Villa Hammerschmidt” in Bonn 
Deutscher Künstlerbund, Nationalgalerie Berlin

1974 Kunstmarkt Köln, Ausstellung der Galerie Brusberg
„Handzeichnungen”, Große Kunstausstellung München, ausgestellt von der ‚Neuen Gruppe‘

1976 „Aspects of Realism”,  internationale Wanderausstellung (mit Fritz Köthe, Wolfgang Petrick und Peter Sorge)
„Retrospektive” im Kunstverein Mannheim (mit Volkmar Oellermann)

1977 „Regenbögen für eine bessere Welt”, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart
„Hommage à Schwitters”, Kunstverein Hannover

1978 „Neue Bilder aus Niedersachsen”, Galerie Brusberg, Hannover
„Die bildende Kunst und das Tier”, Orangerie Hannover-Herrenhausen

1979 „Acht Maler aus Hannover”, Deutsche Parlamentarische Gesellschaft, Bonn
„Kinder an der Leine”, Kunstverein Hannover

1980 „Deutscher Künstlerbund”, Ausstellung in Hannover
„Elektrizität”, Orangerie Hannover-Herrenhausen

1981 Forum Kunst, Rottweil
Sprengel-Museum, Hannover, anlässlich der Verleihung des Bernhard-Sprengel-Preises
„Profile, Impulse”, Niedersächsische Künstlerstipendiaten, Orangerie Hannover-Herrenhausen   
„15 artystów z Hanoweru/15 Künstler aus Hannover”, Ausstellung des Kulturamtes der Stadt Hannover, Biuro Wystaw Artystycznych (BWA), Poznan, Polen

1982 „Landschaften und Stilleben”, Galerie Brusberg, Berlin
„Künstler in Niedersachsen”, Ankäufe des Landes Niedersachsen seit 1976                                                      

1986 „Neue Bilder”, Kunstkreis Hameln

1990 Ausstellung mit Max Uhlig, Galerie Brusberg, Berlin

1993 „Realismus Triennale”, Martin-Gropius-Bau, Berlin

1996 „Die Kraft der Bilder”    Europäischer Realismus   

1999 „Landschaften”, Städt. Galerie Kubus, Hannover 

2004 „Bilder und Radierungen zur Odyssee”, Doppelausstellung im ‚Kunstkreis Norden‘  

2007 „Für Odysseus” – Eine Auswahl aus den Radierungen zur Odyssee, Galerie Brusberg, Berlin      

2013 „ART.FAIR Köln” – internationale Kunstmesse, Staatenhaus am Rheinpark 

2014 „Mostra personale”, Galleria360, Florenz/Italien    
„Grafik im Dialog mit Literatur” – Radierungen zur Odyssee im Rahmen der 33. Leipziger Grafikbörse, Museum für Druckkunst, Leipzig   

2015 „Exposición Colectiva”, Art Nou Mil.lenni Centre difusó d’art, Barcelona / Spanien
„ART BAHO 2015” – internationale Messe für zeitgenössische Kunst, Barcelona, Galerie Art Nou Mil.lenni präsentiert Portraits von Ernst Marow
„ERNST MAROW - MAGIE DER WIRKLICHKEIT”, Schloss Cappenberg zu Selm, Retrospektive mit über 150 künstlerischen Arbeiten

2016 „ART BEIJING 2016” – internationale Kunst-Messe, Art Nou Mil.lenni Centre difusó d'art, Barcelona / Spanien  

2017 „NEBUKADNEZAR - Künstler gestalten Flaschen für Rottweil”– Zu dieser Kunstaktion wurden alle Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die seit der Gründung des FORUM KUNST ROTTWEIL im Jahr 1970 ihre Arbeiten in einer Ausstellung im Rottweiler Kunstverein präsentiert haben

2018 „ENIGMATIC  REALISM'' Ausstellung in den Hallen der Rocca Paolina in Perugia / Umbrien, die Werke Ernst Marows wurden von der LDXArtodrome Galerie präsentiert

2019 „Art Nou Mil.lenni present a tribute to Ernst Marow”, Gedenk-Ausstellung zu Ehren Ernst Marows  mit einer Portrait-Reihe des Künstlers
„KUNST  UND  WANDEL” – Ausstellung in der LDX Artodrome Galerie Berlin – neben den Werken weiterer Künstler der Galerie wurde das Bild „Meerlandschaft mit Hase” (1987) von Ernst Marow präsentiert
„Europäische Tage der Integration und Ökumene Chojna”

 

Sammlungen in Museen und im öffentlichen Besitz

Albertina Museum Wien

Sprengel Museum Hannover

Neues Rathaus Hannover

Kunstsammlung des Landes Niedersachsen

Kunstsammlung des NDR Hamburg

Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg

Niedersächsische Sparkassenstiftung

Niedersächsischer Sparkassen- und Giroverband

Vereins- und Westbank AG Hannover

Allianz AG Stuttgart

Peter Hahlbrock:   Rede zur Ausstellung "Realismus aus dem Küchengarten" in der Galerie Brusberg Hannover. Hannover 1972. 

Dieter Brusberg:  Brusberg Berichte 13.  Galerie Dieter Brusberg, Hannover 1972 

Dr. Marxsen, Kunstmuseum Bonn:  Essay zur Ausstellung in der Villa Hammerschmidt Bonn. Bonn 1973. 

'Neue Formen des Realismus - Kunst zwischen Illusion und Wirklichkeit' - von Peter Sager. Erschienen 1973 im DuMont Buchverlag, Köln.

Dieter Brusberg: Brusberg Berichte 19. Galerie Dieter Brusberg, Hannover 1974. 

Ludwig Schreiner: Künstler sehen Niedersachsen. 80 zeitgenössische Künstler. Weidlich Frankfurt 1978. 

Bernd Rau: Gemälde, Skulpturen, Aquarelle und Zeichnungen des  20. Jahrhunderts: Die Sammlung Sprengel, Werke aus den Sammlungen der Landeshauptstadt Hannover und des Landes Niedersachsen - Band 1.  Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel, 1979 

Deutscher Künstlerbund e.V.: Kunstreport 3'80  -  28. Jahresausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Hannover Redaktion Kunstreport, München 1980. 

Heimar Fischer-Gaaden: Profile, Impulse. Niedersächsische Künstlerstipendiaten. Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Hannover 1981. 

Heimar Fischer-Gaaden, Stefan Kleimann: "15 artystów z Hanoweru/15 Künstler aus Hannover": 2.-21. czerwca 1981, Biuro Wystaw Artystycznych (BWA), Pozna - Organizator Urz d kultury miasta sto ecznego Hanower/2.-21. Juni 1981 Biuro Wystaw Artystycznych (BWA).  Kulturamt der Landeshauptstadt Hannover. Hannover 1981. 

Jürgen Schilling:  Laudatio anläßlich der Überreichung des Sprengel-Preises. Kunstmuseum Sprengel, Hannover 1981.

Prof. Dr. F.W. Korff: Expressionismus der Überdeutlichkeit - ein Essay zur Ausstellung "Stilleben und Landschaften" von Ernst Marow in der Galerie Brusberg Hannover.  Hannover 1982. 

'ERNST  MAROW' - Künstlerbiographie - von Peter Hahlbrock. Erschienen 1983 im Westermann-Verlag, Braunschweig.

Heimar Fischer-Gaaden, Th. Schäfer:  Künstler in Niedersachsen. Ankäufe des Landes seit 1976.   Bund Bildender Künstler. Hannover 1983.

'Kunstlandschaft Bundesrepublik – Geschichte, Regionen, Materialien'. Thomas Deecke, Wulf Herzogenrath, Andreas Vowinckel. Erschienen 1984 in der Verlagsgemeinschaft Klett-Cotta, Stuttgart

Dr. Heinz Liesbrock, Niedersächsischer Sparkassen- und Giroverband: Bestände - Die Sammlung des Niedersächsischen Sparkassen- und Giroverbandes. Hannover 1994. 

Gerhard Leistner, Kunstforum Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg:  Katalog der Schausammlung.  Gemälde, Skulpturen, Plastiken und Objekte.  Regensburg 1997. 

Prof. Dr. F.W. Korff: 'Außerhalb der Zeit – Ernst Marows Bilder im Kubus 1999' – ein Essay zur  Ausstellung. Hannover 1999.

Prof. Jobst Plog, Dr. Rudolf Grosskopff, Norddeutscher Rundfunk Hamburg:  Weite und Licht - Norddeutsche Landschaften.  Eine Kunstsammlung des NDR.  Hamburg 2004. 

Walter Gehlen, Andreas Lohaus:  ART.FAIR  - Messe für moderne und aktuelle Kunst 2013. Katalog zur Messe. Köln 2013.

Virginia Bazzechi Ganucci Cancellieri, Kunsthistorikerin in Florenz/Italien: "Tutti gli uomini per natura tendono alla conoscenza" -  Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen (nach Aristoteles)  Essay zur Ausstellung Ernst Marow - Mostra personale in der Galleria360 in Florenz/Italien. Florenz 2014.

Leipziger Grafikbörse e.V.:  „33. Leipziger Grafikbörse - Grafik im Dialog mit Literatur / Bilder zu Worten“ . Katalog zur Ausstellung. Leipzig 2014. 

Thomas Hengstenberg et al.:  Ernst Marow - Magie der Wirklichkeit  - Künstlerbiographie. Kettler Verlag Dortmund, 2015.

Zu meinen Bildern:

Wo zeigt die Erde noch ihr Ur-Antlitz, ihre ewigen Elemente der Steine, Erden, Berge, Flüsse und endlich das Meer, und zwischen diesen Ewigkeiten die Pflanzen, die Tiere . . . Meine großen Wanderungen galten diesem Ziel: „Der Strand ist unter dem Steinpflaster!” Deshalb der Gang in die unendliche Stille des Hohen Nordens, sie klingt wie eine gewaltige Bronzeglocke über der Tundra. Ganz anders das machtvolle Schweigen auf den Feuerbergen mitten im Atlantik, Inselwüste dicht am Gluthauch der Sahara, Vulkanhitze unter den Sohlen.  Dort fand ich die gewaltigen Steine  in gebrannter Siena, Vulkanbomben, dort war der Strand schwarz und glänzend, wenn die ruhigschwere Atlantikdünung auf die Kiesel donnerte. Nur mühsam zwängte sich das Leben aus der dunklen Lava.

Darüber aber zog am Morgen der Adler, still standen die Steine, und die Schiffshölzer warteten lautlos auf die Rückkehr der Schiffe, jenseits der Zeit.   

Als junger Maler im Berlin der 1950er und -60er Jahre stand man fast allein vor der Wand der Abstrakten, zwar gab es noch Hofer, Dix und in Amerika Max Beckmann; aber Realität, Gegenstand waren unerwünscht – dagegen in Italien de Chirico, Carra und Funi. Uns paar Leute dagegen bewegte die Frage nach der Wirklichkeit in der Kunst. 

Was ist wirklich?   

Und da gab es Erstaunliches zu entdecken. Im ersten Aufleuchten des Tatsächlichen zeigte sich uns eine Welt wirklich „fremder Dinge”, die auch einander fremd waren.  Kein begrifflicher Realismus also – sondern die Frage nach der Wirklichkeit der Dinge selbst in ihrer Fülle und Tiefe, jenseits gewohnten Gebrauchs, jenseits der Ratio, in ihrer Fremdheit. Sie erschienen uns wie Samenkörner, aus denen Neues wuchs; wie Fallen, in denen sich Unbekanntes fing; über sich Hinausweisendes; evokativ waren, ja ein gutes Stück in eine jenseitige Welt hineinragten.

Das Ding stellt also eine neue Wirklichkeit her. Seine Form war nicht nur Außenseite, viel mehr auch Innenseite, in der sich das Innen des Malers spiegelte, sich geduldig dem Unsichtbaren hinter dem Ding nähernd bis an das Schweigende, das Geheimnis, das man nur umkreisen kann. Wittgenstein: „Es gibt das Unaussprechliche wirklich. Dieses zeigt sich.” Der Weg dorthin führt über das Sichtbare, immer wieder Angeschaute – bis es von selbst beginnt, etwas auszusagen; das Wirkliche ebenso zauberhaft ist wie das Zauberhafte wirklich. Dafür muss der Maler die Kälte für seinen Gegenstand bewahren, die Dinge zu höchster Prägnanz und Gegenwärtigkeit steigern – wirklich ist, was wirkt!

Dann zeigt sich, dass die Dinge, außer dass sie sind, auch Zeichen sind. 

An dieser Stelle folgt der Umschlag, der entscheidende: „Das Bild stellt die Sache nicht dar, es ist die Sache, es vertritt sie nicht nur, sondern es wirkt gleich ihr, sodass es sie in ihrer unmittelbaren Gegenwart ersetzt” (Ernst Cassirer)

Das ist es: Der Maler gibt nicht Wirklichkeit wieder – sondern er stellt sie her! Darum geht es.

Ernst Marow, 2013

 



Außerhalb der Zeit

Ein Essay zu Ernst Marows Bildern

Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Korff

Bilder Ernst Marows sind in Lanzarote, an der Nordsee, in der ländlichen Umgebung von Hannover und im Atelier in der Kaiser-Wilhelm-Straße entstanden, so dass wir ein topographisch inspiriertes Quadrat haben, in dessen vier Ecken gemäß den Elementen des Empedokles Feuer, Wasser, Erde und Luft in Farbe und Temperatur auf das deutlichste kombiniert sind. Die Lanzarote-Bilder sind feurig und trocken, die von der Nordsee kühl und feucht, und die hannoverschen Bilder wiederholen diese Eigenschaften, wobei die in Lanzarote verwandten Farben und Temperaturen seltsamerweise auch für das dunkle Niedersachsen verwandt werden. Das feurige Element, das ich gern das schmiedende oder oder hephaistische Element nenne, sehen Sie  in den rostigen  Eggen und trockenen Äckern oder noch einmal im Gelb der raschelnden Kornfelder.

Marow nähert sich der Landschaft vom Stilleben her.  Aber eine äußere Landschaft ist nicht still. Es muss also eine innere sein und noch dazu eine, die den Atem anhält. Wir sehen rätselhafte Steine, Naturgegenstände, erstaunliche Himmel, aber auch Artefakte wie landwirtschaftliche Geräte, Eggen, Planiertrommeln. Von Dürers Stich „Melancholia” von 1514 und von Raffaels Bild in Bologna „Die heilige Cäcilie” wissen wir, dass Handwerkszeuge, die am Boden herumliegen oder Musikinstrumente, denen bereits Saiten fehlen oder Tasten herausgefallen sind, Gegenstände außer Funktion sind. Defekte Werkzeuge ohne Menschen, die sie bedienen oder reparieren, deuten auf eine melancholische Stimmung, auf Stille, Abwesenheit von Geräuschen menschlicher Arbeit. Zwecke werden nicht mehr verfolgt. Die Sachen sind am Ende.  Zwecklosigkeit und Herausfallen aus der Zeit machen den eigentümlichen Reiz der „nature morte” oder des Stillebens aus. Es entsteht ein Eigenleben solcher Dinge.  Es irritiert den Beobachter, der in Zweckzusammenhängen steht oder betrachtet. Dieser Feierabend der Natur, der bei Marow auch ein sehr früher Morgen sein kann, etwa fünf Uhr, führt dazu, dass die Tageszeit bei Marow schwer festzustellen ist. Man muss sich seine Dinge vielleicht im Licht der Ewigkeit oder auf den Inseln der Seligen wie bei Homer vorstellen.

Mit „außerhalb der Zeit” meine ich den Zustand, wenn man nicht weiß, welche Tageszeit, welche Jahreszeit, welche Kulturzeit es ist, die da einen anschaut und Aufmerksamkeit fesselt. Die Kraft, die in diese Bilder geflossen ist, leuchtet aus ihnen hervor. Glauben Sie ja nicht, dass Sie es sind, die von Marow aus seinem Selbstportrait angestarrt werden. Der Maler fixiert keinen Menschen, sondern ein Bild, das er gerade auf der Staffelei vor sich hat. Hier kann man die Kraft sehen, die man sonst in seinen Bildern fühlt. Schön finde ich sie, wenn sie verhalten magnetisieren, etwa wie in den blauen Bildern, die ich morgendlich, feucht und kühl genannt habe.

Marow malt also außerhalb der Zeit. Man kann weder die Tages- noch die historische Zeit identifizieren. Paradoxerweise weiß man zugleich, dass die Bilder nicht zeitlos sind, spiegeln sie doch die Lebenszeit und die bevorzugten Themen des Künstlers.  Marow kann man nicht mit dem Zeitgeist identifizieren. Man kann nicht einmal sagen, dass er altmodisch male. Sein Realismus ist ein Realismus nach dem Realismus. Altmodisch zu malen, ist noch ein Realismus im Realismus. Er ist außerhalb der Zeit. Er ist drüben. Was für eine Landschaft ich male, ist eine Antwort auf die Frage, was für ein Mensch ich bin. Der Mensch hat zu allen Zeiten die Landschaft als etwas Festes vor Augen gehabt. Die Landschaft hat sich nie geändert, wohl aber sah sie der Mensch mit immer wieder veränderten Augen an. Marow glaubt Landschaften zu malen, aber im Grunde sind es Stilleben. Sie gibt es in der Landschaft gleichwohl, aber sie sind einsam und entlegen. Solche Ensembles kommen am Meer, im tiefen Wald, an den Rändern blühender Felder vor. Trotzdem werden Sie lange gehen müssen, um ein Marowsches Ensemble in dieser bleigrauen Stimmung vorzufinden. Die Landschaft hat im Laufe der Zeit, insbesondere im 19. Jahrhundert, Betonungen erfahren. Die Art und Weise, mit der Landschaft übereinzustimmen, ist zweifach:

a) Es gilt ein Äquivalent der menschlichen Stimmung in der Landschaft zu finden – Freud nennt dieses Projektion.

b) Stimmungen aus der Landschaft sich suggerieren zu lassen. Dies wird Identifikation genannt.

Wenn Marow Eisenwerk, also eine rostige Egge am Feldrand oder auch nur trockene Erdschollen malt, so, dass diese fast stauben, so kann man von diesen Dingen, die eigentlich schon mehr als Abbilder von Dingen sind, eindeutig im Sinne  a) von Äquivalenz des Seelischen sprechen. Der Maler richtet sich dann nicht mehr nach den Gegenständen, sondern er gibt ihnen eine Richtung vor. Es ist eine seit Arthur Schopenhauers Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung” bekannte Tatsache, dass, wenn der bloße Wille und seine Kraft bildhaft gestalten, z. B. im Traum, wir es mit Monströsem, stark Emotionalem und Surrealem zu tun haben. Insofern steht Marow in der Tradition des Surrealismus, unterscheidet sich von ihm aber doch insofern, als wir bei ihm keine ècriture automatique, keine surrealistische Formwiederholung, sondern eine extreme metaphysische Suche nach einmaligem Wesensausdruck finden.

„De singulare non est scientia”, „Über das Einzelding gibt es kein Wissen”, sagt schon der heilige Thomas in der Schrift „De ente et essentia”, „Über das Sein und das Wesen”. Diesen Satz hat er natürlich von Aristoteles abgeschrieben, der seinerseits mit dieser Behauptung eigentlich nur Platon am Zeug flicken wollte, liegt doch bei Platon das Wesen im allgemeinen Begriff: Das was allen Dingen einer Species gemeinsam ist, sollte die Idee sein, die von den Dingen selber getrennt ist. Aber das Einzelding kann keine Idee präsentieren, die von ihm getrennt wäre, fehlt ihm doch der Species-Charakter und damit der Vergleich mit anderen Formen, die in unserer Erinnerung, nicht vor unserem Auge liegen. Dadurch dass Marows Stein, einem Einzelding, die Vergleichbarkeit mit der Species „Stein” fehlt, erzeugt dieser Felsbrocken Rätselraten. Was ist das Wesen dieses Steins? Was für eine Bedrohung oder Faszination geht vom ihm aus? Kant sagt: „Ein Gegenstand des Wohlgefallens kann ganz uninteressant sein, aber die Beschäftigung mit ihm bringt ein Interesse hervor.” Dergleichen Wirkung haben alle moralischen Urteile. Marow zwingt den Betrachter, sich mit seinen Gegenständen zu beschäftigen und zieht den Nachdenkenden allgemach auf seine Seite. Auch mildert Marow den kosmischen Schrecken, den er erzeugt, durch Anwesenheit von Tieren, schlafenden Hunden, die man nicht wecken soll – vielleicht ist es das Wesen dieses Bildes  – , oder von in Baumzweigen ruhenden Vögeln, ein Rest Leben in der nature morte, das durchaus den gleichen Effekt hat wie die bewegungslosen Fliegen und Falter in den holländischen Stilleben des 16. Jahrhunderts. Marows Himmel sind leer von Vögeln, solche Punkte suggerieren ja Bewegung, die in einem Stilleben nicht erwünscht ist.

Ich sagte, die Gegenstände haben sich nach seinem Willen zu richten. In diesem Sinne könnte man ihn mit den Expressiven dieses Jahrhunderts, z. B. mit Beckmann, oder auch, in der akribischen, aber immer zum Symbolischen hindrängenden Landschaftsmalerei, mit Caspar David Friedrich vergleichen, dessen abgestorbene Eichen auch ein Symbol der erwähnten Seelenäquivalenz sind. Kommt man aus einer Epoche der Sachlichkeit, des Rationalismus, wird sich die Landschaft verrätseln, kommt man aus einer Epoche der Unsachlichkeit, der Romantik, wird sich die Landschaft realistisch abklären. Auch Marows Bilder sind eine Reaktion auf den Sinn und Realität zerstörenden Tachismus moderner Malerei. Diese Vorgänge vollziehen sich mit verblüffender Konsequenz und werden in allen Lebensgebieten sichtbar; die Skala reicht vom Wandel in der Mode bis zum Perspektivenwechsel in der Philosophie. Das private, unreflektierte Mensch-Natur-Verhältnis kann durch diese Vorgänge irritiert werden – alle Moden irritieren eine Zeit lang, und am Aufhören der Irritation erkennt man eigentlich auch das Aufhören der Mode, selbst wenn sie noch weiterlebt –, grundsätzlich aber verändert sich das Verhältnis des Menschen zur Landschaft nicht. Die Empfindung „Baum”, „einsames Tier im Wald” – denken Sie an Friedrichs Bild „Chasseur im Wald” – ändert sich also nicht, wohl aber die Auswahl aus der Realität und die Mitteilung. Im 20. Jahrhundert kann man feststellen, was im 19. Jahrhundert schon angedeutet ist, bei aller Kühnheit doch noch nicht möglich war, insofern ist alles auf Gut und Gedeih dem zwar Vorhandenen der Empfindung, dem aber bislang so nicht Ausgesprochenen unterworfen und vom Zufall abhängig, dass da einer wie Marow kommt und das, was in seiner Seele steckt, auch wagt.

Auch die Romantik – nehmen wir den Dichter Jean Paul – lebt in der Wirklichkeitssicht des Subjektivismus. Fichtes Forderung, dass die empirische Welt nur innerhalb des menschlichen Bewusstseins existieren müsse, hat Jean Paul nicht gefallen, aber er hat sich philosophisch und erkenntnistheoretisch danach orientiert. Schoppe, eine zerrissenen Figur in Jean Pauls Roman „Titan” spottet einmal: „Herr, wer Fichte und seinen Generalvikar und Gehirndiener Schelling so oft aus Spaß gelesen hat wie ich, der macht endlich ernst genug daraus. Das Ich setzt sich und dem Ich samt jenem Rest, den mehrere die Welt nennen. Wenn Philosophen etwas, z. B. eine Idee oder sich aus sich ableiten, so leiten sie … das restierende Universum auch so ab, sie sind ganz jener betrunkene Kerl, der sein Wasser in einem Springbrunnen hineinließ und die ganze Nacht davor stehenblieb, weil er kein Aufhören hörte und mithin alles, was er fortvernahm, auf seine Rechnung schrieb.” (Jean Paul, „Titan”, Bd. III, 132. Zykel). Schoppe ist der Inbegriff der Verwirrung und Irritation, die die Fichtesche Philosophie anstiftet. Er ist die Sokrates-Figur Jean Pauls, das extreme Gebaren des wunden Mannes soll der damaligen Philosophie-Mode die Sackgasse zeigen. In der Landschaftskunst aber ist Jean Paul selbst ausgesprochener Fichteaner. Die literarische Landschaft erfährt Veränderungen, die bis zur Paralyse jeglicher Realität gehen. Auch bei Marow finden wir einen Realismus wie nach dem Sturz des Realismus, entsprechend einer Religiosität wiederkehrend nach dem Atheismus. Die Landschaft gewinnt dadurch Aspekte, die sie bislang zwar auch hatte, die aber von keinem Maler bisher thematisiert worden waren.

Um nun zu zeigen, wie die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts sich nicht in ihrem metaphysischen „Was”, sondern nur in ihrer Mitteilungsweise von der des 20. Jahrhunderts unterscheidet, möchte ich eine Landschaftsschilderung Jean Pauls aus dem Roman „Flegeljahre” vortragen. Bitte betrachten Sie dabei das große Waldbild Ernst Marows. Es versteht sich, dass Marow diese Schilderung aus den „Flegeljahren” nicht bekannt war, als er dieses Bild malte.

Bevor ich aber zu dieser Stelle komme, liegt mir noch daran zu zeigen, was ich unter einem metaphysischen Phänomen in der Malerei verstehe. Das metaphysische Phänomen ist ein Einzelding ohne eine zugehörige Gruppe, ein „singulare” ohne „species”.  Es kommt teils in der Erfahrung vor und ist damit zufällig, kontingent, es schreibt uns aber auch teils die Weise vor, so und nicht anders zu erfahren. Damit wird das Einzelding allgemein, notwendig und rätselhaft. So gibt es Eisenbahnen und bei dem Maler de Chirico auch Eisenbahnen, deren Dampf hinter den Piazzi aufsteigt. Die ersten sind schlicht historisch und empirisch, die zweiten aber metaphysisch, rätselhaft voluntaristische Erscheinungen. 

So gibt es bei Marow Poller, das sind Anlegebeschläge am Hafen, die wie der Ewigkeit entnommen zu sein scheinen. Lassen sie eine solche Ewigkeit in einer stillen Waldecke einer Jean-Paulschen Landschaftsbeschreibung  auf sich wirken. Sie werden gleich erfahren, wie schnell Sie sich außerhalb der Zeit befinden und im Singulare der Waldeinsamkeit einen Vogel sehen, der die Stille ringsherum belebt: „Die Felsen drängen sich aneinander und wollen sich mit den Gipfeln berühren, und die Bäume darauf langen wirklich einander die Arme zu. Keine Farbe ist da als Grün und oben etwas Blau … Der Vogel singt, nistet und hüpft, nie gestört auf dem Boden, außer von mir … Ein ewig dunkler Morgen ist das, jede Waldblume ist feucht, der Morgenthau lebt bis zum Abendthau. So heimlich eingebauet, so sicher eingefasset ist das grüne Stilleben hier und ohne Band mit der Schöpfung”  – ein singulare ohne species – „als durch einige Sonnenstrahlen, die mittags die stille Stelle an den allgewaltigen Himmel knüpfen. Sonderbar, dass gerade die Tiefe so einsam ist wie die Höhe. Auf dem Montblanc fand Saussure nichts als einen Tag- und Nachtschmetterling” – zwei singulare einer species – „was mich sehr erfreuete. Am Ende wurde ich selber so still als die Stelle und schlief ein. Ein Zaubertraum nach dem anderen legte mir Flügel an, die bald wieder zu großen Blumenblättern wurden, auf denen ich lag und wankte. Endlich war mirs, als riefe mich eine Flöte beim Namen … Ich wusst aber durchaus nicht, wo ich war, ich sah die Baumgipfel mit Glutrot durchflossen; ich erschrak, dass ich eine ganze Nacht hier verschlafen hatte, denn ich hielt die Röte für Morgenröte. Ich drängte mich durch den tauenden Wald hindurch auf meine Straße hinaus – ein prächtiges Morgenland faltete vor mir die glühenden Flügel auf und riss mein Herz in das allerheiterste Reich. Weite Fichtenwälder waren an den Spitzen gelbrot besäumt. Die Sonne stand so, dass es der Jahreszeit nach 5 ¾ Uhr am Morgen sein mochte, es war aber, die Wahrheit zu sagen, 6 ¼ Uhr abends ...” (Jean Paul, „Flegeljahre”, 46. Kapitel).

Diese Zeitverwirrung ist das, was ich mit der Wirkung von Bildern Marows als ein Herausfallen aus der Zeit gemeint habe. Dies ist nunmehr eine zeitliche Singularität, genauer betrachtet, ein Memento, kein memento mori wie in üblichen Stilleben, sondern ein memento tempi, „Sei eingedenk der Zeit!”

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