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Ingeborg Dammann-Arndt


Ingeborg Dammann-Arndt
Foto: Andreas Bohnhoff
Ingeborg Dammann-Arndt

Die Verwandlung der faktisch zweidimensionalen Bildfläche in eine fiktive dreidimensionale Bildwelt erfährt der Betrachter in den Zeichnungen von Ingeborg Dammann-Arndt. Sie modelliert aus zusammenhängenden Strichelementen eine irrationale wie plausible Raumstruktur.

Dr. Daniel Spanke

1958 geboren in Bederkesa

1976 - 80 Kunstschule Alsterdamm, Hamburg, Diplom-Grafik-Designerin

1980 - 87 Gesamthochschule Kassel, Freie Kunst, Diplom-Bildhauerin

seit 1989 Atelier in Sellstedt / Niedersachsen, zwei Kinder

1990 - 92 Grafikerin an der Volkshochschule Bremerhaven

1996 Arbeitsaufenthalt Wilke-Atelier, Bremerhaven 

2000 - 01 Unterstützung der kulturellen Aktivitäten der Stadt Langen

2003, 2005 - 06 Papier, Lehrauftrag für Fachdidaktik/Kunst- und Werkpädagogik an der Hochschule Vechta

2006 Filzen, Lehrauftrag an der Universität Oldenburg

seit 2006 Unterricht und Ausstellungsprojekte in der Jugendkunstschule Bremerhaven

2007 Arbeitsstipendium Künstlerbahnhof Ebernburg am Stein

2008 Arbeitsstipendium im Künstlerhaus Lukas, gefördert durch das Land Mecklenburg-Vorpommern

Einzelausstellungen 

 

2019 DIE FEINE FORM – TERRAKOTTA TRIFFT ZEICHNUNG, Schloss Clemenswerth

2017 LANDSCHAFTSRÄUME UND OBJEKTE, Schloss Ritzebüttel, Cuxhaven

2014 RAUMLANDSCHAFTEN, Damianstor, Kunstverein Bruchsal

AM LAUF DER WESER, NWWK Worpswede 

2013 Galerie Wilmsen GbR, Hergatz

UNTERM STRICH Schloss Agathenburg

2009 GALERIE JÜRGENSEN, Öetjendorf  

2007 IN DER TIEFE DER FLÄCHE, Künstlerbahnhof Ebernburg am Stein 

2005 SCHWARZARBEIT, Kunstverein Stade

2004 WAS MICH PRÄGT, Kulturforum Dorum

2003 BESUCH VON ROSI SCHWARZ, Kunstverein Kehdingen, Freiburg  

2001 EINMAL ROTWEISS BITTE, Kulturamt der Stadt Bremerhaven

2000 NICHT OHNE GELB UND WEISS, Atelierhof Galerie, Bremen

1999 ALLES BOHNE, Galerie 149, Bremerhaven

1998 DRUCKREIF, Atelierhaus 30, Hamburg 

1996 PRÄGUNG, Wilke-Atelier, Bremerhaven  

1993 AUSSCHNITT, Galerie 149, Bremerhaven

1984 DA SIND WIR WIEDER, Kassel  

 

Ausstellungsbeteiligungen und Kunstmessen 

 

2020 ACCROCHAGE 14, Galerie 149, Bremerhaven

2019
NEBENAN raumgreifend, Schloss Agathenburg

ACCROCHAGE 13, Galerie 149, Bremerhaven

40 JAHRE KBE, Künstlerbahnhof Ebernburg am Stein

ANIMAL TURN, Syker Vorwerk, Syke

ZEITGLEICH-ZEITZEICHEN von a nach b nach a, Schloss Ritzebüttel, Cuxhaven

2018 10. NIEDERSÄCHSISCHE GRAFIKTRIENNALE – DRUCKGRAFIK, Schloss Bevern

ACCROCHAGE 12, Galerie 149, Bremerhaven 

2017 NEBENAN Kein Ding sieht so aus wie es ist, Schloss Agathenburg

125 BILDER SUCHEN EINE KOLONIE, Galerie Peters-Bahrenbrock, Ahrenshoop

30 JAHRE Kunstverein Kehdingen

ACCROCHAGE 11, Galerie 149, Bremerhaven 

2016 ZWEI METER UNTER NULL, Kunsthalle Wilhelmshaven

ART Karlruhe, Galerie Wilmsen GbR

ACCROCHAGE 10, Galerie 149, Bremerhaven 

2015 BEFREIUNG, Städtische Galerie KUBUS, Hannover, Willebadessen, Nienburg und Maktkirche Hannover

ART KARLSRUHE, Galerie Wilmsen GbR

BURGOMENTA, Burg zu Hagen

KUNSTMAAND, November Galerie, Ameland, Niederlande

NEBENAN blümerant, Schloss Agathenburg

ACCROCHAGE 9, Galerie 149, Bremerhaven

2014 Galerie Wilmsen GbR

ART Karlruhe, Galerie Wilmsen GbR

COLOGNE PAPER ART, Köln, Galerie Wilmsen GbR

FINE ART, Kurhaus Baden-Baden, Galerie Wilmsen GbR  

ZEITGLEICH-ZEITZEICHEN, Bachmann Museum, Bremervörde

9. NIEDERSÄCHSISCHE GRAFIKTRIENNALE – ZEICHNUNG, Schloss Bevern  

PETRUS IN PETRI, Buxtehude

ART.FAIR, Kunstmesse Köln

AFFORDABLE, Hamburg, Galerie Wilmsen GbR

ACCROCHAGE 8, Galerie 149, Bremerhaven

2013 GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG DÜSSELDORF, Düsseldorf  

ART BODENSEE, Dornbirn, Galerie Wilmsen GbR

COLOGNE PAPER ART, Köln, Galerie Wilmsen GbR

ART KARLSRUHE, Kunstmesse 

ART BODENSEE, Dornbirn

ART.FAIR, Kunstmesse Köln

AFFORDABLE, Hamburg, Galerie Wilmsen GbR

ACCROCHAGE 7, Galerie 149, Bremerhaven

NORDWESTKUNST, Kunsthalle Wilhelmshaven

ROT, Hagenah

2012 NEBENAN vor meiner Tür, Schloss Agathenburg

ACCROCHAGE 6, Galerie 149, Bremerhaven

2011 GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG HALLE, Villa Kobe, Halle 

60 JAHRE BBK-Stade/Cuxhaven, Hagenau

ACCROCHAGE 5, Galerie 149, Bremerhaven

2010 NEBENAN Nachlass, Schloss Agathenburg

LANDSCHAFT IM UMBRUCH – RÄUME IM WANDEL, BBK-Niedersachsen – Aurich

ART & DIALOG, Schloss Ritzebüttel, Cuxhaven

ACCROCHAGE 4, Galerie 149, Bremerhaven

2009 VOM HIMMEL AUF ERDEN, Palais Rastede 

GRAFIKEDITION Kunstmuseum Ahrenshoop

KÜNSTLERLEBEN – LEBENSKÜNSTLER, Kunsthaus Stade

KUNSTFRÜHLING, Galerie 149, Bremerhaven

NORDWESTKUNST, Kunsthalle Wilhelmshaven

ACCROCHAGE 3, Galerie 149, Bremerhaven 

2008 NEBENAN öffentlich - privat, Schloss Agathenburg

7. NIEDERSÄCHSISCHE GRAFIKTRIENNALE – ZEICHNUNG, Schloss Bevern (K) 

ALS HÄTTEN WIR ALLE ZEIT DER WELT, Kunstverein Buxtehude - Kulturetage Hannover 

ACCROCHAGE 2, Galerie 149, Bremerhaven

2007 GABRIELE MÜNTER PREIS 2007, Martin-Gropius-Bau, Berlin / Frauenmuseum Bonn 

RÜCKSEITE DES MONDES, Kunstverein Kehdingen, Freiburg

ACCROCHAGE 1, Galerie 149, Bremerhaven

2006 GARTEN - LUST UND LEIDENSCHAFT, Bad Zwischenahn 

GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG, Haus der Kunst, München 

ZEITENWECHSEL, Burg zu Hagen

2005 NORDWESTKUNST, Kunsthalle Wilhelmshaven 

BILDERWELTBILDER, Städtische Galerie Wollhalle, Güstrow

4.NORDHAUSER GRAFIKPREIS, Nordhausen

2004 GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG HALLE, Villa Kobe, Halle 

DER BBK ZEIGT FORMAT, Karlshamm/Schweden

DIE ACHTE, Holperdorf

2003 NORD ART, Büdelsdorf

2 X 5, Schwedenspeicher-Museum in Stade 

DER BBK ZEIGT FORMAT, Rathaus Stade  

2001 TAKTLOS, Buxtehude-Museum, Buxtehude 

1999 KLEINPLASTIK IN NORDDEUTSCHLAND, Garbsen 

AUSGRENZUNG, BBK-Galerie Frankfurt     

1997 NORD ART, Künstlerinnen-Messe Oldenburg 

INTERNATIONALE MINI BIENNALE, Schweden 

1996 NATIONALE GRAFIKTRIENNALE, Kunstverein Frechen 

1994 KUNST REGION, Morgenstern-Museum Bremerhaven und Cuxhaven  

1984 ZUSTAND./84 BOX, Gesamthochschule Kassel

 

Öffentliche Ankäufe

Baunatal, Garbsen, Bremerhaven, Bad Münster am Stein 

1999 Bilder von Bildern, Kinderprojekt Quartier e.V., Bremen

2000 Kunst im Kontakt, Weserfähre Bremerhaven

Was prägt Jugendliche, Jugendprojekt Kreishaus Cuxhaven

2001 Botschaften gegen Fremdenhass, Jugendprojekt Langen

2002 Lichtblicke, Kinderprojekt Ouartier e.V., Bremen

2004 Zeichensprache, Kinderkulturprojekt Ouartier e.V., Bremen

2005 Farbenmärchen, Kindergartenkulturprojekt, Aktion Mensch 5000 x Zukunft

2006 Raum der Striche, Bremerhaven 

2010 Vom Nabel der Welt, Lebensbilder ästhetischer Biografie, Kinderkulturprojekt Quartier e.V., Bremen

 

Kunst am Bau

2017 1. Preis Ferienzentrum Burhave-Butjadingen, AWO Sano, mit Barbara Lorenz Höfer

2018 2. Preis Berlin Schadowstr., Bundesrepublik Deutschland

Eine Vielzahl von Kammern fügt sich zu einem wogenden Geflecht. Die Wände beschreiben dynamische parallele Bögen in unterschiedlichen Richtungen. Am oberen linken Bildrand faltet sich das Gewebe auf. An drei Stellen ist es angeschnitten, so dass die Größe unbestimmt bleibt, die Ausdehnung unbegrenzt. Am hinteren Bildrand legt eine Leerstelle die Gesamtform einer Bahn nahe. Der Betrachter schaut aufgrund der begrenzten Aufsicht und der gewählten Biegung der Form am unteren Bildrand und bei den hinten liegenden aufstrebenden Kammern in eine buchstäbliche Bodenlosigkeit. 

Das Gebäuden ähnliche, konstruktive und zugleich organisch ausgreifende Gefüge scheint fundamentfrei im Raum zu schweben. Die Strichsetzung formuliert Räumlichkeit, Tiefe und in jedem einzelnen Element ein Aufwärtsstreben. Vorne im Bild erscheint diese Richtung bewegter und energischer, hinten verdichten sich der Raumlage entsprechend die Linien zu statischen Gebilden.

„Raumlandschaft” nennt Ingeborg Dammann-Arndt ihre Komposition und kennzeichnet damit schon die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte und Anteile ihrer Kompositionen. Die einzelnen Elemente lassen an Architekturen denken. Die vital bewegte Wucherung allerdings legt eher natürliche Formationen nahe, die auf organischen Wachstumsprozessen beruhen, und sie rückt den kompositorischen Aufbau des Ganzen aus einzelnen Bauelementen in den Blick. Nicht nur mit dem Bewegungsmoment in konstruktiv anmutenden Gebilden, auch mit der Entbindung des Gebildes von einem konkreten Ort und mit einem – bei aller partiellen Dynamik – Aufheben der Zeit bringt die Künstlerin den Betrachter um eine sichere Perspektive der Wahrnehmung und um die zweifelsfreie Entzifferung des Gesehenen. 

So wie die Komposition über die Bildränder hinausreicht und -weist, bleibt die Identifizierung der Darstellung im Fluss. Ob sich der Betrachter nun einen Platz in den Kammern sucht oder nach Übersicht und Gesamtschau strebt – die Zeichnung verwehrt ihm diese festen Orte und nimmt ihn mit in verschiedene Fluchten, Richtungen und Gehäuse. 

Ihre „Raumlandschaften” fächert die Künstlerin in zahlreichen Variationen auf. Die Grundelemente sind konstant. Da ist zum einen die Strichsetzung, mit der sie, Schraffuren gleich, organische Architekturen modelliert. So uniform die mit größter Akribie gesetzten Linien auch in der Gesamtsicht erscheinen mögen, so unterschiedlich fallen sie doch im Detail aus. Es ist gerade die Spannung zwischen der Handzeichnung mit ihren spezifischen Varianten – je nach individueller Bewegung und Materialbeschaffenheit – und dem geplant, fast schematisch anmutenden Aufbau, die Faszination ausübt. Eine Spannung, die den Betrachter fesselt und in einen Sog zieht, bisweilen sogar in einen tendenziellen Schwindelzustand versetzt. 

Eine weitere Konstante sind die Module, jene schon erwähnten kammerartigen Gebilde ohne Boden und Decke, die sich zu einem unbestimmten Ganzen auswachsen. Ingeborg Dammann-Arndt fügt diese Rapporte zu Formen, die sich in ihren Volumeneigenschaften und in ihrer Lage unterscheiden. Und sie nimmt sie aus wechselnden Perspektiven in den Blick. Es gibt beispielsweise die „Raumlandschaft 13”, die sich wie ein Kugelausschnitt bläht. Andere Varianten scheinen sich eher auf ein Zentrum hin zusammenzuziehen. Manchmal wirkt der Verlauf der Wände gleichmäßiger, fast in geometrischer oder besser stereometrischer Ordnung. Manchmal taucht er ungerichtet auf, womit hier wieder die vermeintlichen Antipoden konstruktiv und organisch in den Blick rücken. 

Dabei sind die Kompositionen von Ingeborg Dammann-Arndt gerade durch das offene Verhältnis zwischen Architektur und Natur gekennzeichnet. Durch die Belebung der mutmaßlich regelhaft aneinander gereihten und geketteten Setzungen durch einen sicht- und geradezu spürbaren Puls, durch ein Auf- und Abschwellen der Raumlandschaften gewinnen sie ihre spezifische Magie. Auf dem Grenzstreifen zwischen Konstruktion und Organismus, zwischen Ordnung und Abweichung, wird eine Wahrnehmung freigesetzt, die unter die Oberfläche und hinter die Form schaut. Die Künstlerin bringt hier nicht nur in der Wirklichkeit weitgehend getrennte Bezirke zusammen, sondern zeigt uns auch, dass unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit weitgehend von unserer Perspektive abhängig ist. Zudem verweist sie uns darauf, das unser Bewusstsein eng mit unseren Sinneseindrücken verknüpft ist. Die Irritationen, die sie auf verschiedenen Ebenen anstößt, schärfen unsere Wahrnehmung und unsere Reflexion über das Gesehene. 

Landschaft beschäftigt Ingeborg Dammann-Arndt als beobachteter Raum in ihrer unmittelbaren Umgebung. Dabei nimmt sie aufmerksam und kritisch den Wandel der Landschaft wahr. Sie greift diesen in Bildern auf, in denen das Verborgene oder Vergangene als überlagerte Schicht thematisiert wird. Landschaft tritt aber auch als imaginierter Raum auf, der sich von einer Grundform ausgehend in einem offenen Kompositionsprozess ausbildet, in dem sie Land schafft, wenn man so will, in das Naturerfahrung oder Fragen an die Natur mitgenommen werden. Die Suche nach einer Form ist dann geglückt, wenn sich mit ihr vielschichtig operieren lässt, wenn ihr verschiedene Bedeutungsebenen und Assoziationshorizonte anhaften und wenn sie sich zu größeren Gebilden fügen lässt.

Die Erzeugung von Raum auf der Fläche ist ein klassisches Faszinosum der Kunst. Die Illusion von Tiefe fesselt und dokumentiert Meisterschaft. Dabei versuchten Künstler lange, durch eine plastische Abbildung der Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen. Bei Ingeborg Dammann-Arndt ist dies anders. Ihre Herkunft aus der Bildhauerei ist unübersehbar. Graphit ist zu ihrer Modelliermasse geworden, ihre Gebilde verblüffen durch ihre Körperlichkeit, der Aufmarsch ihrer gefluchteten Objekte, die mal in einem unendlichen Raum zu verschwinden scheinen, die sich mal dem Betrachter offensiv entgegen recken, formuliert fast greifbare Räumlichkeit.

Doch hier geht es nicht um illusionäre Nachschaffung von Wirklichkeit, sondern, wie Daniel Spanke dies angedeutet hat, um die Verwandlung der realen Fläche, also der Zweidimensionalität, in eine fiktive dreidimensionale Bildwelt. Im Aufbau der Strichformationen entsteht eine von ihrem kompositorischen Plan her plausible und nachvollziehbare Raumstruktur und Gegenständlichkeit. Von ihren einzelnen Gebilden her allerdings wächst vollkommen surreale Welt, zumindest eine artifizielle Welt nach eigenen Gesetzen. 

Zwar mögen die zotteligen und haarigen gefluchteten Objekte manches Getier oder Gegenständliches assoziieren lassen. Erst einmal aber sind sie das Ergebnis eines folgerichtigen Aufbau von Gebilden aus einzelnen Strichen in Kreisform, die sich von einem Zentrum aus ringförmig auswachsen, die sich zu Kugeln zusammenballen, die sich auftürmen und sich dann vervielfältigen.

Aber auch, wenn man den Blick auf die Kompositionsstrategie konzentriert und das grafische Geschehen als Musterbildung und Ornament betrachtet, lässt sich der Gedanke an einen organischen Prozess und natürliche Vielfalt und Vervielfältigung kaum ausblenden. Es scheint sich ein Blick in Mikrokosmen oder aber auch in planetare Konstellationen zu eröffnen, den die sogenannte Wirklichkeit versagt.    

Zwar lassen sich die Gebilde in Ingeborg Dammann-Arndts Kompositionen nicht mit Elementen aus unserer Erfahrungswelt direkt abgleichen, schon gar nicht so einfach begrifflich fassen. Was wir allerdings direkt wahrnehmen, woran wir unmittelbar anknüpfen können, sind die Sinnesreize, die sie ausüben. Die Raumlandschaften nehmen nicht nur unsere Augen, sondern unseren ganzen Körper mit, sprechen unser Bestreben an, unseren Ort und unsere Richtung zu finden, und verweigern uns die Erfüllung durch unüberschaubare und undurchschreitbare Vervielfältigung. 

Die Objekte und Objektlandschaften senden haptische Reize aus. Rüssel- oder kugelförmige, eng aneinander geschmiegte Gebilde mit einem merkwürdigen Nabel führen in eine Welt des Stofflichen, die uns geradezu anblickt, uns aufzusaugen scheint, die wir allerdings kaum verorten oder identifizieren können. Vielleicht schauen wir in eine Zellformation, vielleicht in eine Unterwasserwelt aus Organismen, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Dem Verborgenen Gestalt zu geben und ihm dennoch sein Geheimnis zu belassen, gelingt der Künstlerin auf faszinierende Weise.

In einigen Objekten erscheint ein wulstiger Körper geknickt oder in sich selbst verschlungen. Die Gitterstruktur lässt auch dieses unbestimmte Etwas zwischen einem natürlichen und einem konstruierten Gebilde pendeln. Das Netz besitzt einen gewissen Grad an Abstraktion, als würde ein Körper schematisch und modellhaft dargestellt. Auf der anderen Seite wirkt er wie eine von Atem bewegte Haut. Auch die Lage und die Gesamtform mit ihren weichen, welligen Konturen animieren das Konstrukt zu einem organischen Wesen.

In ihren „Landstrichen”, Titel einer Serie, formt die Künstlerin Architekturen, die sie „Öffentlicher und Privater Raum” nennt. Der Betrachter blickt in der Aufsicht oder in der Ansicht in die Räume, wird je nach Perspektive in verschiedene, aber jeweils unbegrenzte Tiefen hineingezogen. Auch hier ist es wieder das erkennbar aus einzelnen unterschiedlichen Strichen gesetzte grafische Geschehen, das seine Wirkung entfaltet, ein gestaffeltes, durch Öffnungen, Verjüngungen, Verbreiterungen, Verengungen, Ausbuchtungen, Wellen und Kanten vielfach rhythmisiertes Gefüge, eine zugleich offene Oberfläche und geschlossene Form. Neben diesen genuin zeichnerischen Wirkungen steht hier aber auch ein gewisses sinnbildliches, vielleicht sogar erzählerisches Moment. Die Wände in diesen kammer- und kanalartigen Räumen gewinnen über den Titel die Bedeutung von Abgrenzungen – oder deuten sie doch eher Verbindungsstücke an? Sehen wir hier auf abgeschottete Privatheit oder auf einen öffentlichen Raum, der Wege weist, vielleicht auch zum Verweilen einlädt? Eine gewisse Enge und bedrängende Moment weisen beide auf.

Nahezu zwangsläufig erscheint es, dass eine Zeichnerin, die sich so intensiv mit der Landschaft, dem Raum und der Plastizität von Objekten befasst, über die Fläche hinaus in den realen Raum strebt. Natürlich wirken alle ihre Zeichnungen bereits in den Raum hinein, schon dadurch, dass sie, wie beschrieben, den Betrachter auf dessen eigene Perspektive verweisen und ihn seinen Platz im Bild suchen lassen. Ingeborg Dammann-Arndt lässt aber nun hier ihre Kompositionen direkt mit dem Ausstellungsraum korrespondieren. Indem sie das Blatt von der Wand auf den Boden ausgreifen lässt und damit die Zweidimensionalität aufhebt, den Betrachter nicht nur frontal in Kammerformationen blicken lässt, sondern diese ihm auch zu Füßen legt und sie zugleich zu einer imaginären Decke hin verlängert. 

In ihrer „Schloss Raumlandschaft” geht sie nun noch einen Schritt weiter, indem sie das Blatt als Bildträger gänzlich verlässt und erstmals direkt auf die Wand zeichnet. Dabei schließt sie an Formen im Raum an, greift Fenstersprossen als grafische Struktur auf, lässt Linien in der Zeichnung mit Abgrenzungen im Raum zusammenfallen, integriert Fenster in ihre Komposition. So finden ihre freien artifiziellen Gewebe Korrespondenzpartner im realen Raum, und man könnte schlussfolgern, dass die Wirklichkeit Gelegenheit bietet, den künstlerisch entwickelten Formen wiederzubegegnen. 

Dr. Rainer Beßling

Eröffnungsrede der Ausstellung UNTERM STRICH, Schloss Agathenburg, 2013 

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