Rosemarie Würth
Kontaktadresse:
Ostwender Straße 3
30161 Hannover
Wissenswertes:
Auszug aus den Tagebüchern des Malers Wilhelm Beuermann
Der Weg zu Rosemaries Zeichnungen – sie arbeitet nach der Natur und oft monatelang nach demselben Motiv. Hier setzt sich, je länger ein Sujet sie beschäftigt, eine Vereinfachung durch, das Motiv gewinnt an Transzendenz, ihre Arbeiten reduzieren sich auf wenige gestische Bewegungen, die wie Schriftzeichen ihren Inhalt bergen. Die Überwindung des Sujets durch Eindringen in das Wesentliche, Überwindung des Anekdotischen durch Transponierung und Herausarbeitung des Selbstoffenbarenden.
05.04.1987
1938 geboren in Stettin
1955-1961 Graphikstudium an der Werkkunstschule Hannover
Stipendium der Gropiusstiftung Hannover zu weiteren Studien bei Gerhard Wendland, J.G. Geyer in Radierung, Lithografie und freier Malerei
1961-1977 freie Mitarbeit als Illustratorin eines Schulbuchverlages
seit 1977 freischaffende Zeichnerin in Hannover
1971-2003 zweiter Wohnsitz und Arbeitsaufenthalt in Ligurien und auf Sardinien
Einzelausstellungen
2023 Wald – im Detail, imago Kunstverein Wedemark
Blüten-Metamorphose, Küchengartenpavillon am Lindener Berg, Hannover
2019 Farbstiftzeichnungen, plathner 27 - Galerie für Kunst und Objekt, Hannover
2011 Von der Transzendenz der Natur, Zeichnungen, Galerie E-Damm 13, Hannover
2004 Atelier Berger, Delmenhorst
2000 Kunstverein Imago, Wedemark
1997 Neues Kreishaus, Hannover
1994 Arche, Hameln
1990 Galerie Brechbühl, Grenchen/Schweiz
1988 Förderkreis Kunst, Schönaich
1987 Bilderkabinett, Darmstadt
1986 Galerie Brechbühl, Grenchen/Schweiz
Galerie Villinger, Würzburg
1984 - 2008 zahlreiche Einzelausstellungen in der Galerie Artforum, Hannover
1983 Galerie des Steintor-Verlages, Meiborssen
1982 Galerie Herzog, Ladenburg
1981 Galerie Gessmann, Neu-Isenburg
Happy Jos Galerie, Hamburg
1980 Galerie Villinger, Würzburg
Galerie Gerlach, Mainz
Gruppenausstellungen
2022 „25/Zinnober“, Atelier Block 16 e.V., Hannover
2020 Zeitensprung, Kunstverein Wedemark - 6 Künstler „der ersten Stunde“ mit heutigen Positionen
2019 Zeichnungen, Ausstellungsforum in der Eisfabrik, Hannover
2015 Neues aus hannoverschen Ateliers - Grün, Eisfabrik, Hannover
1980 - 1989 zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland mit der Künstlergruppe „Plasma“, Hannover
Vera Burmester
Wald – im Detail zur Arbeit von Rosemarie Würth
Eröffnungsrede zur Ausstellung im imago Kunstverein Wedemark am 27.8.23
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste,
die hannoversche Künstlerin Rosemarie Würth nimmt uns mit in die Natur oder besser gesagt, sie bringt uns die Natur ins Haus. Viele großformatige Zeichnungen hat Frau Würth eingepackt und lädt uns ein, einen Kosmos zu betreten, der aus Blättern, Zweigen und Bäumen besteht. Alles dargestellt mit einem ganz einfachen technischen Mittel: dem Zeichenstift.
Rosemarie Würth hat sich seit Anbeginn ihrer künstlerischen Arbeit mit Naturstudien beschäftigt, und dieses Genre hat sich über die Jahre zu ihrem Schwerpunkt entwickelt. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Rosemarie Würth eine absolute Fachfrau ist, wenn es um Naturstudien geht. Und das lässt sich auf vielerlei Weise belegen!
Beginnen wir einmal ganz vorn, wenn es um den Zeichenprozess geht.Vor dem eigentlichen Zeichnen steht ein sehr wichtiger Vorgang: das Betrachten des Motivs, sein genaues visuelles Untersuchen. Man könnte glauben, dass eine Künstlerin, die sich schon so viele Jahre mit einem Thema beschäftigt und bestimmte Motive schon so vielfach gezeichnet hat, nicht mehr viel gucken muss und eigentlich aus dem Gedächtnis zeichnen könnte. Ich habe dies Frau Würth bei einem Atelierbesuch gefragt und die Künstlerin hat auf diese doofe Frage geantwortet, dass sie dies zwar könnte, aber nicht tut. Und das zu Recht! Zeichnet man aus dem Gedächtnis, besteht immer die Gefahr, dass das Abgebildete eher einem Symbol ähnelt, als einem echten Objekt. Das Gehirn reduziert die Darstellung, die Schattierungen, die Tiefe, das Volumen. Individuelle Merkmale wie kleine Verletzungen, Dellen oder Risse kann unser Gehirn nicht alle mitdenken, da muss das Auge ran. Auch die vielfältigen Farbnuancen können schwer suggeriert werden. Hier bestätigt sich die Aussage: „Zeichnen ist in erster Linie ein Vorgang des Sehens“. Und wenn man ein Motiv oft genug gezeichnet hat, dann glaubt man vielleicht irgendwann, es visuell begriffen zu haben, aber da darf man sich nie zu sicher sein. Rosemarie Würth weiß das und zeichnet deshalb immer nach der Natur. Jeden Tag geht die Künstlerin in der Eilenriede in Hannover spazieren, und Sie können sich denken, dass sie oft etwas von diesen Spaziergängen mitbringt: Blätter, Samenkapseln, kleine Zweige. Es gibt eine Ecke in ihrem Atelier, die ähnelt einer Sammlung aus einem Naturkundemuseum, dort trägt die Künstlerin ihre Fundstücke zusammen und lagert sie.
Das Auge sieht, das Gehirn verarbeitet das Gesehene, die Hand stellt es dar. Was hier so lapidar und einfach klingt, ist ein ungemein komplexer Vorgang, der Übung verlangt und trainiert werden muss. Das natürliche Objekt muss verstanden sein, erst dann kann es bildhaft wiedergegeben werden. Rosemarie Würth ist eine genaue Beobachterin und sie selbst sagt, dass die Analyse in ihrer künstlerischen Arbeit im Vordergrund steht. In ihren Bildern geht es nicht um die eigene Emotion, oder ihre Geschichte. Die Gefühlswelt der Künstlerin tritt hinter den Bildern zurück. Aber stimmt das? Es gibt zwar keinen expressionistischen Duktus, keine heftigen Richtungen, kein Kratzen oder Übermalen, das eine innere Aufruhr wiedergibt. Aber immer wird doch auch die eigene Befindlichkeit in Kunstwerken verhandelt, denn man kann das Gefühl doch nicht einfach abstellen.
Goethe hat zu diesem Thema folgendes gesagt: „Wer die Natur schildert, schildert nur sich, und die Feinheit und Stärke seines Gefühls.“ Betrachtet man die Bilder von Rosemarie Würth unter diesem Aspekt, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Künstlerin eine sehr kontemplative Seite an sich hat, denn die große Ruhe und Kraft, die ihre Zeichnungen ausstrahlen, lässt sich nicht bestreiten. Rosemarie Würth sagt, dass ihre Arbeiten langsam entstehen, in vielen, vielen Stunden, geht die Hand über das Blatt und formt die Äste, Blätter und Bäume. Dieses zeitliche Sich-Einlassen ist spürbar, denn es prägt die Werke ebenfalls. Die Feinheit und Konzentration des Dargestellten kann nicht mal eben schnell umgesetzt werden, sondern bedarf einer, ich möchte da ein schönes altes Wort verwenden, Hingebung. Den Eifer und die Anstrengung, die sich hinter der Hingebung verbergen, wird Rosemarie Würth niemand absprechen.
Um die Menschen noch tiefer in ihre Bilder zu ziehen, macht die Künstlerin etwas Interessantes: sie lässt Unfertiges nur Skizziertes auf dem Blatt stehen. Und so klaffen weiße Flecken aus der Zeichnung. Diese Freistellen werden voll bewusst gesetzt, denn so, sagt Rosemarie Würth, „Steigen die Betrachter mit ein.“ Und das ist wahr, diese unfertigen Stellen im Blatt muss unsere Vorstellung nun füllen und schon denken wir an der Zeichnung ganz anders mit, als wenn alles zu ende formuliert wäre. Manchmal fordern diese Leerstellen vielleicht auch ein Gefühl des leichten Ärgers heraus: „Warum ist das denn hier nicht fertig gezeichnet, da fehlt doch was?!“ Tja, das müssen wir aushalten.
Um gute Kanten zu erzeugen skizziert Rosemarie Würth mit hartem Bleistift, danach arbeitet sie mit dem Farbstift weiter. Und dieses Zeichnen mit dem Farbstift hat sie über die lange Zeit ihres Schaffens perfektioniert. Wenn Sie die Bilder ganz genau betrachten, erkennen Sie, dass die einzelnen Tonwerte aus mehreren Farben bestehen. Ein gelb ist hier nicht nur gelb, es ist auch rot und grün und schwarz. Das kennt man aus der Malerei. Aber auch beim Zeichnen kann man mit mehreren Ebenen arbeiten und unterschiedliche Farben übereinanderlegen. Das tut Rosemarie Würth, sie zeichnet lasierende dünne Farbschichten übereinander und modelliert so die individuelle Form mit den Farbstiften heraus. Auf diese Weise entstehen Tiefe und Plastizität. Lichteinfall wird durch unterschiedliche Farben dargestellt und da ist unsere Sehgewohnheit sehr streng, würde hier etwas nicht stimmen, würden wir das Bild als „nicht richtig“ wahrnehmen. Hier bei Rosemarie Würth ist aber alles ganz richtig.
Das zeichnerische Können ist das eine, das andere ist die Komposition auf dem Blatt. Die dargestellten Motive sind harmonisch auf dem Untergrund verteilt. Die Künstlerin weiß genau, wie sie Gegensatzpaare wie groß und klein, leicht und schwer, hell und dunkel in der Zeichnung nebeneinandersetzen muss, damit die Wirkung stimmig ist und der verdichtete Ausdruck verstärkt wird. Und achten Sie einmal darauf, die Künstlerin sagte mir, dass in ihrem Werk die Diagonale wichtig sei und hat man das im Hinterkopf entdeckt man tatsächlich des öfteren Diagonalen in den Zeichnungen …
Ich mache mit ihnen jetzt eine kurze Exkursion zur Theorie der Ästhetik. Die ist in der bildenden Kunst nicht gut angesehen. Wird Kunst als ästhetisch bezeichnet, kommt sie ganz schnell in den Verdacht gefällig und hübsch zu sein. Und das ist eigentlich schade. Das Wort Ästhetik ist abgeleitet vom griechischen aisthetikos, was soviel wie wahrnehmungsfähig, empfindungsfähig, empfindsam bedeutet. Eigenschaften, die ich der Künstlerin zuordnen möchte, denn ohne diese Eigenschaften, könnten die Zeichnungen nicht so entstehen, wie wir sie hier vor uns sehen. Aristoteles benennt die universellen Komponenten der Ästhetik mit: Ordnung, Symmetrie und Klarheit. Auch diese Aspekte sind eindeutig in den Bildern von Rosemarie Würth zu entdecken. Man darf also sagen, die Bilder sind ästhetisch.
Und jetzt kommt das große Aber.
Rosemarie Würth zeichnet eben nicht nur schöne Bäume, schöne Blätter und schöne Samenkapseln, sie beschäftigt sich innerhalb ihrer Bilder immer auch mit dem Vergänglichen. Dazu sagt die Künstlerin: „Ich sehe mehr Schönheit im Vergehenden.“ Ein wunderbares Beispiel dafür ist ihre Serie „Raupenfraß“. Diese Werkreihe gibt es in zweifacher Ausführung, einmal für den Sommer und einmal für den Herbst.
Wir sehen jeweils sechs Ahornblätter, prominent formatfüllend in die Bildmitte gesetzt. Und nun zeichnet die Künstlerin einer Bildergeschichte gleich das Vergehen der Blätter durch Raupenfraß. Mir kommen diese Zeichnungen wie eine Art Tagebuch vor, wir sind Zeugen des Aufgefressenwerdens. Jedes Bild zeigt einen stärkeren Fraßschaden im Blatt, bis zum Schluss nur noch ein Blattgerippe vorhanden ist. In diesen Serien ploppt eine weitere Seite der Künstlerin auf, als wollte sie sagen: „Ich zeichne Euch nicht hübsche Sommerblätter in ihrem starken, frischen Grün, sondern ich lasse genau das von Raupen wegknuspern.“ Kann man das als Verweigerungshaltung lesen, oder ist es ein gewisser Humor, der hier durchblitzt, wer weiß … ? Die beiden Serien haben wieder einen zeitlichen Aspekt, diesmal neben dem technischen auch einen erzählerischen.
Die Schönheit im Vergänglichen, das ist in der Kunst bekannt. Vanitasstilleben waren im Barock ein wichtiges Ausdrucksmittel, um an die Sterblichkeit zu erinnern. Dargestellt waren etwa prächtig gedeckte Tische mit prallen Früchten, großen Fleischstücken und exotischen Blumen. Solche überbordenden Auswüchse gibt es im Werk von Rosemarie Würth nicht. Hier wird das Memento Mori durch welke Blätter, tote Zweige oder eben durch Fraßstellen von Raupen definiert. Das ist jedoch nicht weniger beeindruckend.
Die Ästhetik der Rosemarie Würth besitzt also auch immer die berühmte zweite Seite, die uns verdeutlicht, das sich Lebenskreise eben irgendwann schließen werden.
Rosemarie Würth arbeitet auf mehreren Ebenen mit der Beschränkung: Sie nutzt wenige Farben in ihren Bildern, die technische Ausführung ist ruhig und unspektakulär, es gibt keine auffällige Technik, der Strich ist gleichmäßig. Die Motive wiederholen sich und werden oft in einem Werk mehrmals dargestellt. Diese mehrfache technische, wie inhaltliche Beschränkung führt zu einer großen Ausdruckskraft der Bilder. Mir kommen sie vor, wie visuelle Meditation. Durch die Beschränkung ergibt sich eine Art zeichnerisches Konzentrat, das Wesentliche wird dargestellt. Dieses Konzentrat will unsere Wahrnehmung verändern und für ästhetischen Genuss sorgen. Beides tut es.
Betrachtet man die Bilder in dieser Ausstellung, fällt auf, dass Rosemarie Würths Werk spannend zweigeteilt ist. Manche Zeichnungen scheinen zu fliegen, die Motive sind nicht wirklich räumlich zu verorten,liegen die Blätter auf einem Tisch ? Oder befinden sie sich auf dem Boden? Das lässt sich nie eindeutig sagen. Die Farben sind hell und wirken durchscheinend. Diese Bilder sind leicht und filigran und bezaubern durch ihren wehmütigen Schleier. Und dann gibt es Werke, die Baumwurzeln oder ganze Bäume zeigen, deren verschlungene und verdrehte Äste zu abstrakten Bildelementen verschwimmen. Da windet und schlängelt es sich, dass man optisch in die Tiefe gezogen wird.
Da blitzt eine gewaltige Kraft auf, die zu Betrachten eine wahre Freude ist. „Zeichnen ist denken mit dem Stift“, es ist schön zu sehen, wie Rosemarie Würth denkt.
Die Künstlerin hat etwas Tolles gesagt: „Blätter haben es mir angetan, in jeglicher Form.“ Und diese Nähe lässt sich sehr gut in der Serie „Winterblätter“ wiederfinden, die Sie dort an der Wand zum Büro finden.
In einem kleinen Format hat Rosemarie Würth Eichenblätter gezeichnet. Liebevoll geht sie deren Strukturen nach, den Blattadern, der verschiedenen Farbigkeit von Unter- und Oberseite, den diversen Wölbungen. Wir als Deutsche haben zum Eichenblatt einen besonderen Bezug. Im 18. Jahrhundert wurde die Eiche bei uns zum Zeichen des Heldentums, sie gilt als der deutsche Baum und ihre Kraft und Standhaftigkeit sind ein Symbol der Unsterblichkeit. Es gibt unzählige Gaststätten mit dem Namen „Zur deutschen Eiche“, ihr Laub zierte die alte D-Mark, sowie die heutige deutsche 1 Centmünze. Eichenblätter finden sich auch in militärischen Abzeichen, sie gilt als männliches Sexualsymbol und findet sich zudem sehr häufig in der Heraldik.Dass die hier gezeigten Eichenblätter alle versehrt sind, Löcher haben, Einrisse zeigen, trocken und welk sind, ist ein interessanter inhaltlicher Aspekt, den Rosemarie Würth hier ganz nebenbei einwirft. Eine kleine Aufforderung über das Gesehene hinaus zu denken.
Ich habe in einem Buch ein wunderbares Zitat gefunden, es stammt vom amerikanischen Künstler Keith Haring. Er sagte: „Das Zeichnen ist im Grunde immer noch dasselbe wie seit prähistorischen Zeiten. Es bringt Mensch und Welt zusammen. Es lebt durch Magie.“
In diesem Sinne, lassen Sie sich von der Magie der Zeichnungen von Rosemarie Würth verzaubern.